Aushängeschilder der bayerischen Leichtathletik: Tobias Potye und Aleksandar Askovic holten jeweils Gold in Dortmund // Souveräner Titelgewinn: Katharina Trost // München mausert sich zur Sprint-Hochburg Deutschlands. Die Männerstaffel mit (von links) Jonas Hügen, Samuel Werdecker, Yannick Wolf und Vincente Graiani gewann ebenso den Titel, wie . . . // . . . das Frauen-Quartett mit Amelie-Sophie Lederer, Hannah Fleischmann, Tina Benzinger und Viola John // Starke Vizemeister wurden Chiara Sistermann . . . // . . . und Christian Zimmermann // Mehr als nur Achtungserfolge errangen Vincent Just (Mitte) // Louis Pröbstle // und Mona Mayer. Alle Fotos: Theo Kiefner

23.02.2023 12:38 // Von: Reinhard Köchl

Deutsche Hallenmeisterschaften Dortmund: Bayern etabliert sich als feste Größe

Der Aufwärtstrend der bayerischen Leichtathletik hält auch bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund an. Obwohl die Winter-Titelkämpfe, bedingt durch Krankheiten, Verletzungen und Verzicht, einen keinen allzu hohen Stellenwert einnehmen, geben sie doch alljährlich einen Fingerzeig über den Zustand der Sportart in den einzelnen Landesverbänden. Gemessen an den Ergebnissen der Deutschen Hallenmeisterschaften in der Dortmunder Ernst-Körnig-Halle sieht es in dieser Hinsicht für den Freistaat durchaus vielversprechend aus. Fünf Titel holten Sportlerinnen und Sportler aus dem Bereich des Bayerischen Leichtathletik-Verbandes (BLV), darüberhinaus gab es noch vier weitere Medaillen, davon einige erwartbare, aber auch Überraschendes. In der Wertung der Bundesländer belegt Bayern klar Rang drei hinter Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

Die Titel in Dortmund gingen samt und sonders an Athletinnen und Athleten der LG Stadtwerke München, wie den Vize-Europameister Tobias Potye, der sich immer mehr zur dominierenden Figur im deutschen Männer-Hochsprung mausert, 1500-Meter-Läuferin Katharina Trost und erfreulicherweise im 60-Meter-Sprint an Aleksandar Askovic. Auch die beiden 4 x 200-Meter-Staffeln bei den Frauen und den Männern waren fest in Münchner Hand. Auf dem Podest Platz nehmen durften ferner Sprinter Jonas Hügen (LG Stadtwerke München) über 200 Meter, Stabhochsprung-Shootingstar Chiara Sistermann (TSV Gräfelfing) und Kugelstoßer Christian Zimmermann (Kirchheimer SC), dessen Formkurve nach einer langen Durststrecke wieder klar nach oben zeigt. Mit Bronze dekoriert wurde noch... Ferner gab es noch eine ganze Reihe von guten Endkampfplatzierungen. Wenn man bedenkt, dass mit Weitspringer Simon Batz (MTG Mannheim), Kugelstoßer Simon Bayer (VfL Sindelfingen) und 200-Meter-Sprinterin Louise Wieland (Hamburger SV) weitere frischgebackene Deutsche Meister in Bayern ihre sportliche Grundausbildung genossen, wird deutlich, über welches Potenzial das größte deutsche Bundesland in dieser Sportart verfügt. Vor allem im Sprint, der in diesem Jahr klar von bayerischen Sportlerinnen und Sportlern dominiert wurde, entwickelt sich München zu einem echten Biotop - und das, obwohl dort ein hauptamtlicher Bundestrainer fehlt! Kompensiert wird das allerdings von einem "tollen Trainerteam", wie der zweimalige Medaillengewinner Jonas Hügen beim Siegerinterview im Ersten Deutschen Fernsehen lobte.

 

Askovic behält im Sprintkrimi die Nerven

 

Im 60-Meter-Sprint der Männer durften gleich zwei junge Münchner ihren Startblock im Finale aufstellen. Aleksandar Askovic war der eine, Yannick Wolf der andere. Askovic, der bereits im Halbfinale mit persönlicher Bestzeit von 6,58 Sekunden aufgetrumpft hatte, behielt im Endlauf die Nerven, verbesserte seinen Hausrekord um weitere zwei Hundertstel Sekunden und wurde dafür mit dem Titel belohnt. Es dauerte indes ein wenig, bis sich der 25-jährige über den Sieg so richtig freuen konnte. Denn die hoch gewetteten Mitfavoriten Julian Wagner (LC Top Team Thüringen) und Owen Ansah (Hamburger SV) waren nach Protesten nur unter Vorbehalt im Finale mitgelaufen – später aber dann doch disqualifiziert worden. Genugtuung für Askovic: im Endlauf hatte er beide hauchdünn geschlagen.

 

"Ich stehe hier mit gemischten Gefühlen", reflektierte Aleksandar Askovic nach dem turbulenten Finale. "Auf der einen Seite freue ich mich natürlich sehr über den Titel Deutscher Meister, das bedeutet mir viel. Auf der anderen Seite ist es schade, dass es diesen Fehlstart gab und ich mich im Ziel am Beuger verletzt habe. Die Zeit 6,56 Sekunden ist toll, ich wusste, dass ich das in den Beinen habe und da ist es natürlich schön, das jetzt auch bewiesen zu haben. Ob ich allerdings bei der Hallen-EM an den Start gehen kann, muss ich noch abwarten. Ich muss erst abklären, was das mit meinem Beuger ist, werde aber alles geben. Ich will international starten. Ich war bislang in der Halle immer stärker als draußen, was auch an meiner Stärke, dem Start liegt. Der fliegende Bereich war immer etwas meine Schwachstelle, aber daran konnte ich im letzten Jahr aufgrund meiner Verletzung, durch die ich eine gute Grundlage schaffen konnte, langfristig arbeiten. Dass ich dadurch auch über 100 Meter nun stärker bin, das will ich in diesem Jahr zeigen. Und auch der Weitsprung soll wieder ein Thema sein. Da habe ich mich lange nicht drangetraut, aufgrund meiner Verletzung, aber das soll sich in diesem Jahr wieder ändern."

 

Münchner Männer-Staffel das Maß aller Dinge

 

Zweiter bayerischer Vertreter in diesem denkwürdigen 60-Meter-Finale war Yannick Wolf, der mit 6,69 Sekunden Platz vier belegte. Die gleiche Platzierung gab es für Wolf auch in der Weitsprung-Konkurrenz, wo er seit Dortmund nun eine persönliche Bestleistung von 7,64 Metern vorweisen kann. Wolf bildete zusammen mit Jonas Hügen, Vincente Graiani und Samuel Werdecker auch noch eine schnelle 4 × 200-Meter-Staffel, die mit ihrer Zeit von 1:25,43 Minuten Deutscher Meister wurde und so starke Quartette wie die MTG Mannheim (1:26,27 Minuten) und den Hamburger SV (1:26,36 Minuten) auf die Ränge zwei und drei verwies. Einen sehr guten fünften Gesamtrang belegte der TSV Gräfelfing in 1:27,92 Minuten.

 

Jonas Hügen war, wie bereits erwähnt, noch in der 200-Meter-Sprintkonkurrenz im Einsatz. Der Späte-Zwanziger, der erst seit diesem Winter vom LAC Quelle Fürth nach München werchselte, überzeugte bereits im Halbfinale mit Hausrekord von 21,51 Sekunden. Diesen verbesserte er im Finale nochmalig auf nun 21,39 Sekunden und wurde für diese Leistungssteigerung mit Platz zwei und der Silbermedaille belohnt.

 

Ergebnisse wie der fünften Platz im Finale über 60 Meter Hürden von Vincent Just (LAC Passau) sind bei dieser durchwegs positiven Bilanz noch das Salz in der Suppe. Der junge, gerade erst der U  20 entwachsene niederbayerische Hürdensprinter überzeugte in Dortmund auf der ganzen Linie und schob sich mit einem neuen Hausrekord von 8,03 Sekunden mitten hinein in die deutschen Hürdenelite - noch dazu vor Zehnkampf-Ikone Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied).

 

Alexandra Burghardt mit Bronze zufrieden

 

Auch aus Bayern kommt Europameisterin Gina Lückenkemper (SCC Berlin). Von ihrem Teilzeit-Wohnort Bamberg aus musste die neue Deutsche Hallenmeisterin zunächst ein Wechselbad der Gefühle durchleben. Die zunächst auf der Anzeigetafel dokumentierten 7,05 Sekunden, die allseits für Begeisterung sorgten, wurden prompt auf 7,17 Sekunden nach oben korrigiert – der Arm der Zweitplatzierten hatte die Zeitmessung ausgelöst. So fehlte eine Hundertstel zur Saison-Bestzeit. Mit aufs Treppchen sprintete eine weitere Münchner Staffel-Kollegin: Mit Alexandra Burghardt (LG Wacker Gendorf Burghausen), die in 7,22 Sekunden Bronze holte, war Bayern wenigstens offiziell in den Medaillen vertreten. "Wir konnten wegen meiner Rückenprobleme erst seit kurz vor Weihnachten so trainieren, wie wir das wollten", erklärte Burghardt hinterher. "Ich konnte mich im Dezember nicht bücken, mich nicht schmerzfrei bewegen, wie man das eigentlich sollte. Da hat die Technik natürlich auch gelitten. Ich habe das mit meinem Team aber gut in den Griff bekommen. Man kann auch bei einer Meisterschaft nicht zaubern. Ich bin einfach dankbar, dass ich trotz der schlechten Vorbereitung hier eine Medaille mitgenommen habe und wir alle gar nicht weit auseinander waren. Ich bin froh, dass ich meine alte Stärke am Start wiedergefunden habe. Auf den ersten Teil meines Rennens bin ich stolz. Mir war von vornherein klar, dass im zweiten Teil noch was fehlt. Dazu war die Vorbereitungszeit zu kurz. Ich sehe: Wenn alles klappt, kann es weit nach vorne gehen, dafür bin ich dankbar. Es sind ja auch noch ein paar Tage bis Istanbul."

 

Stadtwerke-Frauen verteidigen Staffel-Titel

 

Und dann gab es natürlich noch eine zweite Bayerin im Endlauf: Tina Benzinger (LG Stadtwerke München) schaffte tatsächlich den Sprung ins Finale, wo sie mit 7,42 Sekunden Achte wurde. Viola John und die ehemalige Deutschen Hallenmeisterin Amelie-Sophie Lederer (beide LG Stadtwerke München) kamen jeweils ins Halbfinale, holte jedoch tags darauf zum großen Schlag aus. Zusammen mit Hannah Fleischmann verteidigten Benzinger, John und Lederer über 4 × 200-Meter in 1:36,21 Minuten hauchdünn ihren Titel. Nach Ende der vier Bahnumrundungen lagen die Münchnerinnen knapp vor den Quartetten des SCC Berlin (1:36,28 Minuten) und des VfL Sindelfingen. (1:36,43 Minuten).

 

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge blickt 400-Meter-Sprinterin Mona Mayer (LG Telis Finanz Regensburg) auf die Hallen-DM in Dortmund zurück. Lachend deswegen, weil sie im Halbfinale nach einem spannenden Duell mit der späteren Deutschen Meisterin Skadi Schier (SCC Berlin) fast zeitgleich in 53,05 Sekunden über die Ziellinie kam, was neue persönlichen Hallenbestleistung und die zweibeste Zeit bedeutete. Da Mayer jedoch als Zweite nur ein kleines "q" hinter ihrem Namen stehen hatte, bekam sie im Endlauf die ungünstige Bahn drei zugelost. Das Resultat: Beim Einbiegen auf die Innenbahn wurde sie eingeklemmt, musste abbremsen und erneut beschleunigen. Am Schluss reichte es nur zu Rang fünf in 53,57 Sekunden. „Für mich kam das Ziel zu früh“, meinte Mayer nach ihrem abermals starken Schlussspurt.

 

Tobias Potye untermauert seine nationale Vormachtsstellung

 

Das Hochsprung-Finale der Männer weckte Erinnerungen an die vorjährige Freiluft-DM, bei der sich Tobias Potye (LG Stadtwerke München) und Mateusz Przybylko (TSV Bayer 04 Leverkusen) gegenseitig zu Höhenflügen bis über 2,30 Meter angestachelt hatten. Der Leverkusener verzichtete leider kurzfristig auf seinen Hallen-DM-Start, aber dieses Mal war es Jonas Wagner (Dresdner SC 1898), der Tobias Potye herausforderte. Beide flogen über 2,26 Meter und sorgten damit für Jubelstürme. Doch der Vize-Europameister konnte sogar noch eine Schippe draufpacken: Mit 2,28 Metern verteidigte Tobias Potye seinen Titel aus dem Vorjahr und steigerte seinen Hausrekord in der Halle um einen Zentimeter. "Das hat heute richtig Bock gemacht hier – das war auch das Ziel", freute sich Potye hinterher. "Mein Trainer hat mir vorher mit auf den Weg gegeben, dass ich hier nicht den großen Coup landen muss, sondern einfach Spaß haben soll. Das ist aufgegangen. Den Titel wollte ich natürlich trotzdem verteidigen, und da war es super, dass Jonas (Wagner) so gut mitgesprungen ist. Es war natürlich sehr schade, dass Mateusz (Przybylko) nicht mitspringen konnte, das hätte das Ganze noch mehr gepusht. Aber für mich was es eine gute Generalprobe vor der Hallen-EM. Die Bestleistung von 2,28 Metern tat da zusätzlich gut. Da will ich nicht wieder Vierter werden."

 

Katharina Trost: Vom Staatsexamen zu Gold

 

Die LG Stadtwerke München durfte freilich auch in anderen Disziplinen Erfolgserlebnisse feiern. Obwohl sie aufgrund des laufenden zweiten Staatsexamens die bisherige Hallensaison ausgelassen hatte und nur mit einer Sondergenehmigung an der Startlinie stand, zündete Katharina Trost im 1500-Meter-Finale auf der Schlussrunde den Turbo und siegte mit einer Zeit von 4:11,87 Minuten. "Es war echt hart!", schnaufte Trost nach dem Zieleinlauf. "Ich wusste schon, dass es wahrscheinlich schneller werden wird, weil ein paar Mädels auch schon gesagt haben, sie wollen schneller laufen. Deshalb wusste ich, dass ich echt antreten muss hinten raus, weil die alle echt stark sind. Ich selber wusste nicht, wie lange ich das hohe Tempo mitgehen kann, weil es meine erste Laktatbelastung im Wettkampf war. Es mag sein, dass es von außen locker aussah, aber das sieht bei mir immer so aus (lacht)."

 

Allen, die ihn bereits abgeschrieben, hat Kugelstoßer Christian Zimmermann (Kirchheimer SC) eindrucksvoll gezeigt, dass mit ihm nach wie vor zu rechnen ist. Vor dem Kugelstoßfinale zählte der baumlange Oberbayer eigentlich nicht zum engeren Favoritenkreis, obwohl er als Titelverteidiger in den Ring ging. Dann jedoch spielte Zimmermann seine ganze Routine aus, stieß mit 19,43 Meter Jahresbestleistung und holte sich hinter dem neuen Deutschen Meister Simon Bayer Silber. Die gleiche Medaillenfarbe gab es für Stabhochspringerin Chiara Sistermann (TSV Gräfelfing), die sich das Edelmetall mit der fehlversuchsgleichen Clara Rentz (LT DSHS Köln) teilte. Allerdings wäre Sistermann gerne höher als schlussendlich 4,10 Meter gesprungen. Trainingspartnerin Lilly Samanski (TSV Gräfelfing) war ihren 3,90 Meter und dem sechsten Gesamtrang ebenfalls nicht ganz zufrieden.

 

Hoffnungsvolle und unerwartete Platzierungen

 

Nicht unerwähnt sollten ein Platzierungen außerhalb des großen Rampenlichtes bleiben, die für die nahe Zukunft Hoffnung geben. Stabhochspringer Louis Pröbstle (TSV Gräfelfing) kam mit persönlicher Bestleistung von 5,32 Meter auf einen starken fünften Platz. Über 3000 Meter mischten gleich drei Läufer des LSC Höchstadt/Aisch im  Kampf um die Medaillen mit, wobei Florian Bremm als Vierter in 8:09,32 Minuten am nähesten dran war. Auf den Rängen sechs und sieben landeten Brian Weisheit (8:10,52 Minuten) und Nick Jäger (8:13,51 Minuten). Zufrieden sein kann auch Benedikt von Hardenberg (LG Telis Finanz Regensburg) nach überstandener Grippe mit seinem siebten Platz im Dreisprung (14,43 Meter).