Der Held von Kassel: In einem dramatischen Finish rang Florian Bremm über 5000 Meter Maximilian Thowirth nieder / Drama, Teil zwei: Denise Uphoff und Alexandra Burghardt lieferten sich einen harten Fight und warfen sich dann über die Ziellinie / Überglücklich: Katharina Trost, die Hallen-Europameisterin Hanna Klein in die Schranken verwies / Fast im Gleichschritt: (von links) Alina Ammann, Christina Hering und Majtje Kohlberg / Gedränge auf dem Silber-Podest: (von links) Laura Gröll, Lavinja Jürgens und Anna-Sophie Schmitt. Rechts Siegerin Marie-Laurence Jungfleisch / Der Überraschungsmann: Emil Meggle / Auf dem Podium mit Gina: die Frauenstaffel der LG Stadtwerke München mit (von rechts) Hanna Fleischmann, Denise Uphoff, Marina Scherzl und Amelie-Sophie Lederer / Ein Zehnkämpfer unter den Weitsprung-Spezialisten: Felix Wolter. Alle Fotos: Theo Kiefner

09.07.2023 23:44 // Von: Reinhard Köchl/leichtathletik.de

DM Kassel 2: Bayern etabliert sich unter den großen Drei in Deutschland

Der stetige Aufwärtstrend der bayerischen Leichtathletik lässt sich nun auch an den Ergebnissen der Deutschen Meisterschaften der Männer und Frauen festmachen, die 2023 auf eindrucksvolle Weise im Kasseler Auestadion über die Bühne gingen. Bei tropischen Bedingungen und großer Hitze holten die Athletinnen und Athleten am zweiten Tag noch einmal je drei Mal Gold, Silber und Bronze. Insgesamt gab es in Kassel also 14 Medaillen und mehrere starke Endkampf- beziehungsweise Endlaufplatzierungen, und das, obwohl mit Hammerwerfer Merlin Hummel (UAC Kulmbach), der als Titelverteidiger seine Stellplatzkarte zu spät abgegeben hatte, und der Männer-Staffel der LG Stadtwerke München, die sich durch einen Fehlstart selbst aus dem Rennen nahm, zwei weitere potenzielle Titelkandidaten unerwartet ausfielen.

Aber auch dies lässt sich mittlerweile in der bayerischen Bilanz verschmerzen. Denn unverhofft springen dann eben andere in die Bresche, wie der 5000-Meter-Sensationssieger Florian Bremm (LSC Höchstadt/Aisch), die beiden lange verletzten Hochspringerinnen Laura Gröll und Lavinja Jürgens (beide LG Stadtwerke Münche), die sich im Hochsprung überraschend Silber teilten, obwohl anfangs niemand mit ihnen rechnete, oder das kometenhaft nach oben gestiegene 800-Meter-Riesentalent Emil Meggle (LG Stadtwerke München), das nach seinem Erfolg bei den U 23-Meisterschaften in der Woche zuvor nun auch noch zu Bronze stürmte. Bayern nimmt mit dem besten DM-Ergebnis in diesem Jahrtausend in der Rangfolge inzwischen nahezu gleichberechtigt hinter Nordrhein-Westfalen Platz zwei beziehungsweise drei in der Rangfolge der stärksten Bundesländer ein.

 

Merlin Hummel hätte an diesem Sonntag gerne auch gejubelt. So jedoch war der 21-Jährige erst einmal geschockt: "Die Stellplatz-Zeit waren 120 Minuten, ich war jedoch erst um 12 Uhr da und bin von 90 Minuten ausgegangen. Ich habe es komplett vergessen. Ich weiß nicht, was heute los war. Ich habe es dann beim Aufwärmen erfahren, dass ich außer Wertung starte. Da ist in mir alles auseinander gefallen. Der Druck war sehr hoch, da ich davon ausgegangen bin, dass ich eine gute Weite holen muss, damit ich ein Argument für eine mögliche WM-Nominierung erbringen kann. Ich schaue, dass ich den Körper jetzt gut regenerieren kann und der Kopf frei wird. Wenn der Kopf frei ist, ist alles möglich. Das ist auch das Einzige, was ich mir für die U23-EM vorgenommen habe." Immerhin durfte Hummel noch außer Konkurrenz teilnehmen und kam auf 71,70 Meter. Dies Weite hätte hinter Sören Klose (Eintracht Frankfurt; 73,90 Meter) allerdings nur zu Platz zwei gereicht.

 

Florian Bremm setzt sich in packendem Rennen durch

 

Es war ein unruhiges, schnelles Meisterschaftsrennen mit einem packenden Finale. Gleich zu Beginn preschte Titelverteidiger Mohamed Abdilaahi (LG Olympia Dortmund) an die Spitze und lief knapp drei Kilometer allein vorne weg. Dann schloss eine Vierergruppe um die weiteren Favoriten Maximilian Thorwirth (SFD 75 Düsseldorf-Süd), Aaron Bienenfeld (SSC Hanau-Rodenbach), Sam Parsons (SCC Berlin) und Aufsteiger Florian Bremm (LSC Höchstadt/Aisch) auf. Das Tempo blieb hoch, Mohamed Abdilaahi fiel zwischenzeitlich aus der Gruppe heraus, konnte dann aber wieder aufschließen.

 

Die Entscheidung fiel in der Schlussrunde. Maximilian Thorwirth und Florian Bremm konnten sich absetzen. Auf der Zielgeraden lieferten sich die beiden einen packenden Fight. Knapp das bessere Ende für sich hatte Florian Bremm, der sich in 13:35,65 Minuten zu seinem ersten DM-Titel ins Ziel stürzte. Seine Bestzeit (13:30,87 Minuten) war weniger als fünf Sekunden entfernt. Maximilian Thorwirth gewann Silber (13:35,70 Minuten). Am Schluss waren sich alle einig: Dies war das Rennen des Tages in punkto Dramatik und Emotionen. "Nach ein paar Minuten geht es mir schon etwas besser", schnaufte eine völlig aufgelöster Florian Bremm im anschließenden Interview. "Ich habe heute so viel auf der Bahn gelassen. Ich habe so viel abbreißen lassen und mich immer wieder herangekämpft. Es hat sich mit wenigen Hundertsteln ausgezahlt. Ich habe einfach um jeden Platz gekämpft. Ich habe mich auch so oft nach dem Feld umgeschaut. Die letzten hundert Meter waren unglaublich. Es war so heiß, das kann ich eigentlich nicht gut ab. Ich habe ständig auf den Wetterbericht geschaut. Immerhin ist es ein wenig kühler geworden. Seit Februar kann ich professioneller trainieren, weil ich seit Februar durch die bayerische Polizei im Spitzensport gefördert werde."

 

Katharina Trost geht auf der Zielgeraden an Hanna Klein vorbei

 

Die Favoritinnen hielten sich zu Beginn des Rennens über 1500 Meter zurück. Das Tempo gab Vera Coutellier (ASV Köln) vor. Das war in 2:16,48 Minuten auf den ersten 800 Metern moderat. Eingangs der Schlussrunde ergriff Hanna Klein (LAV Stadtwerke Tübingen) die Initiative. Der Titelverteidigerin konnte nur Katharina Trost (LG Stadtwerke München) folgen. Die Münchnerin hängte sich bis zur Zielgeraden an die Hallen-Europameisterin über 3000 Meter dran und startete dann einen erfolgreichen Angriff. In 4:09,05 Minuten spurtete Katharina Trost zu ihrem ersten Freiluft-Titel über die 1500 Meter. Nach drei Siegen in Serie musste sich Hanna Klein mit Rang zwei (4:09,88 Minuten) zufriedengeben.

 

"Ich freu mich echt wahnsinnig", strahlte Katharina Trost anschließend. "Als Hanna bei 400 Meter vor Schluss vor ist, dachte ich, dass sie es macht wie ich letztes Jahr. Ich hab dann beschlossen, locker zu bleiben, entspannt mitzugehen, alles in die Zielgerade zu legen und zu hoffen, dass es klappt. Es läuft jetzt deutlich leichter, da ich die letzte Prüfung meines Staatsexamens vor ein paar Wochen abgelegt habe. Es ist zwar noch Schule in Bayern, aber der Prüfungsdruck ist weg. Ich hoffe, dass jetzt noch einiges drin ist. Ich habe noch zwei Wettkämpfe an den nächsten zwei Wochenenden und hoffe, dass es über die Weltrangliste reicht, dass ich nominiert werde für die WM. Auch was das Training angeht ist noch viel drin. Gerade in der Prüfungsphase mussten wir das Training oft an meinen Zustand anpassen. Ich hoffe, dass die Form jetzt nach oben zeigt."

 

Erfreulich auch, dass mit Anne Spickhoff (LG Telis Finanz Regensburg; 4:17,89 Minuten) und der jungen Valerie Koppler (LG Stadtwerke München; 4:21,13 Minuten) zwei weitere Läuferinnen aus Bayern auf den Rängen sechs und sieben einkamen.

 

Alexandra Burghardt kämpft sich zu Gold

 

Ebenfalls Drama pur gab es im Endlauf über 200 Meter. Für alle Finalistinnen wurden die letzten Meter immer länger und länger. Zum Abschluss des DM-Wochenendes legte Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen) sämtliche Kräfte, die noch in ihr steckten, auf die Bahn. In 23,36 Sekunden kämpfte sich die Staffel-Europameisterin als Siegerin ins Ziel. Vor zwei Jahren hatte sie den Titel über diese Strecke schon einmal gewonnen. In diesem Jahr konnte sie wegen Rückenproblemen nicht voll durchtrainieren. Wie die Siegerin stürzte auch Lisa Nippgen (MTG Mannheim) hinter dem Ziel zu Boden. Mit nur einer Hundertstel Rückstand (23,37 Sekunden) holte sie Silber. Bestzeiten stellten die an diesem Wochenende überragende Bronzemedaillen-Gewinnerin Denise Uphoff (LG Stadtwerke München; 23,40 Sekunden) und Keshia Kwadwo (LC Paderborn; 23,47 Sekunden) auf. Die deutsche Hallenmeisterin Louise Wieland (Hamburger SV; 23,49 Sekunden), die ursprünglich aus München stammt, wurde Fünfte.

 

"Das Rennen war gut, aber der Tag war sehr anstrengend. Eigentlich mag ich so eine Hitze, aber ich bin im Moment nicht im besten Fitness-Zustand", bilanzierte Alexandra Burghardt. "Ein paar Sachen in meinem Körper laufen gerade nicht so rund. Es ging mir natürlich um den Titel, da ich Jahresschnellste war. Besonders wenn es körperlich gerade nicht so rund läuft, hat man nicht die starken Zeiten, sondern eher den Titel im Blick. Deswegen bin ich gerade sehr glücklich. Die ersten hundert Meter waren gut, dann musste ich es ins Ziel retten."

 

Doppel-Silber für Laura Gröll und Lavinja Jürgens

 

Nicht minder emotional und spannend verlief der Hochsprung der Frauen, bei dem sich mit Laura Gröll und Lavinja Jürgens (beide LG Stadtwerke München) zwei frühere Top-Springerinnen wieder im Kreis von Deutschlands Besten zurückgemeldet hatten. Beide standen in früheren Jahren schon ganz oben auf dem DM-Treppchen, mussten jedoch wegen teils langwieriger Verletzungen in den vergangenen Jahren kürzertreten. Am Schluss gab es in Kassel ein seltenes Happyend. Ohne jeden Fehlversuch bis einschließlich 1,81 Meter blieben Laura Gröll, Lavinja Jürgens und Anna-Sophie Schmitt (SV GO! Saar 05). Das Resultat führte zu Gedränge auf dem zweiten Stockerlplatz: Dafür gab es gleich drei Silbermedaillen hinter der Siegerin Marie-Laurence Jungfleisch (VfB Stuttgart), die die 1,84 Meter erst im dritten und letzten Versuch überquerte hatte. Ihr Sprung verhinderte ein noch größeres Kuriosum: Dann nämlich hätte es gleich vier Goldmedaillen gegeben!

 

Christina Hering spielt ihre Routine aus

 

Über 800 Meter sah alles nach dem erwarteten Duell zwischen Majtie Kolberg (LG Kreis Ahrweiler) und Seriensiegerin Christina Hering (LG Stadtwerke München) aus. Majtie Kolberg schlug ein hohes Tempo an und lief die erste Runde in 60,07 Sekunden an. Den beiden Favoritinnen auf den Fersen folgte Alina Ammann (TuS Esingen). Auf der Zielgeraden mobilisierte das Trio Schulter an Schulter alle Reserven. Bis zum letzten Meter war das Rennen nicht entschieden. Als Erste warf sich dann Alina Ammann ins Ziel. Ihre Bestleistung pulverisierte die 25-Jährige um mehr als zwei Sekunden auf 2:01,42 Minuten. Die Titelträgerin der vergangenen sieben Jahre, Christina Hering, holte Silber (2:01,46 Minute) vor der untröstlichen Majtie Kolberg (2:01,52 Minuten).

 

"Natürlich wollte ich heute gewinnen", gab Christina Hering unumwunden zu. "Ich bin stolz darauf, dass ich mir das Rennen genau so vorgestellt habe, wie es gekommen ist - bis auf die letzten fünf Meter, wo ich dann plötzlich auf der rechten Seite einen Rempler hatte, der mich dann glaube ich den Sieg gekostet hat. Ich war total auf Majtie konzentriert und habe nicht damit gerechnet, dass jemand direkt hinter uns ist. Durch den Rempler bin ich ein bisschen aus dem Tritt gekommen. Aber ich gönne es Alina wirklich mega. Sie war immer dabei und hatte viel Verletzungspech und Krankheiten. Es tut mir auch Leid für Majtie, dass sie wieder, wie in der Halle, nicht dem Druck der Favoritin Stand halten zu können. Aber wir haben ja noch die WM und da freue ich mich drauf. Natürlich hätte ich gerne die Serie fortgesetzt. Was ich sehr positiv mitnehme, dass es sich heute wieder nach alter Stärke angefühlt hat und ich freue mich jetzt auf den zweiten Teil der Saison."

 

Erfreulich war auch, dass sich mit Nele Göhl (LG Eckental) eine weitere junge Bayerin für das Finale über 800 Meter qualifiziert hatte. Am Ende kam sie in 2:07,00 Minuten auf dem siebten Platz ein.

 

Emil Meggle sorgt auch bei den Männer für Aufsehen

 

Das Überraschungspakt der laufenden Saison heißt ohne Zweifel Emil Meggle (LG Stadtwerke München). Nachdem das junge Ausnahmetalent schon in der Vorwoche bei seinem überraschenden DM-Sieg in der U 23 durch seine immense Spurtstärke aufgefallen war, dürfte ihn nach seiner Galavorstellung in Kassel inzwischen auch andere kennen. Denn der 20-Jährige verhielt sich im 800-Meter-Finale taktisch wie ein alter Hase, obwohl er erst seit gut einem Jahr Leistungssport betreibt. Anfangs im Feld mitschwimmend, sah es eingangs der letzten 200 Meter so aus, als würde Meggle Lehrgeld zahlen müssen. Doch der gebürtige aus Friedberg bei Augsburg stammende Läufer, der mit seiner Familie lange Zeit in Freiburg lebte, wartete bis auf die Zielgerade, um dann das Feld von hinten aufzurollen. Der Lohn war am Schluss eine völlig verdiente Bronzemedaille und eine erneute Steigerung seiner Bestleistung auf 1:47,98 Minuten.

 

Stadtwerke-Frauen-Quartett landet knapp auf Rang drei

 

Im dritten und abschließenden Zeitlauf lieferten sich Jessica-Bianca Wessolly, Schlussläuferin des VfL Sindelfingen, und Hannah Fleischmann, Schlussläuferin der LG Stadtwerke München, ein enges Duell. Die Sindelfingerin (44,37 Sekunden) konnte die Münchnerin (44,44 Sekunden), die als Titelverteidiger angereist waren, noch knapp abfangen. Als die Siegerzeit auf der Anzeigetafel aufleuchtete, brach aber der größte Jubel im Innenraum aus. Dort warteten die Siegerinnen des zweiten Zeitlaufs vom SCC Berlin und wussten in diesem Moment: Wir haben Gold! Mittendrin in diesem Freudentaumel war die Titelträgerin des Vortags im 100-Meter-Einzelrennen Gina Lückenkemper, die als Schlussläuferin mit ihrem Team 43,91 Sekunden vorgelegt hatte. Den Grundstein für diesen Erfolg legten ihre Staffelkolleginnen Leonie Kluwig, Michelle Janiak und Nadine Reetz.

 

Der VfL Sindelfingen sicherte sich Silber vor der LG Stadtwerke München mit Marina Scherzl, Amelie-Sophie Lederer, Denise Uphoff und Hannah Fleischmann. Nur zwei Hundertstel zu Bronze fehlte dem TV Wattenscheid 01. Das Quartett mit Tatjana Pinto auf Position drei gewann den ersten Zeitlauf in 44,46 Sekunden.

 

Jonas Hügen abermals auf dem undankbaren vierten Platz

 

Jonas Hügen (LG Stadtwerke München) wiederholte über 200-Meter seine Vorjahresplatzierung aus Berlin und verfehlte mit 20,83 Sekunden als Vierter nur knapp den Sprung aufs Podest, auf dem sich Joshua Hartmann (ASV Köln) feiern ließ, der mit 20,02 Sekunden einen deutschen Rekord aufstellte. Als Jahresbester nach Kassel angereist, belegte Zehnkämpfer Felix Wolter (TSV Gräfelfing) im Weitsprung mit 7,62 Meter Rang fünf. Sieger wurde im allerletzten Versuch der aus Mindelstetten (Landkreis Eichstätt) stammende Simon Batz (MTG Mannheim), der bis zum Jahresende noch einem bayerischen Verein angehörte. Mit 7,97 Metern kratzte er an der Acht-Meter-Marke. Nach dem Fehlstart-Missgeschick der ersten Münchner Sprintstaffel kam der "zweite Anzug" der LG Stadtwerke München mit Tim Wermuth, Moritz von Kuk, Alessandro Rastelli, Advait Nair über 4×100-Meter-Staffel in 40,92 Sekunden auf einen guten achten Platz, ebenso wie Darja Michel (TuS Traunreut) über 3000 Meter Hindernis, die anfangs sogar mutig an der Spitze gelaufen war, aber dann erwartungsgemäß wegen der drückenden Hitze zurückfallen musste. Ihre Zeit: 10,37,96 Minuten.