Jakob Nützel überraschte alle in Rostock / Charia Sistermann wurde ihrer Favoritenrolle gerecht / Spannende letzte Zentimeter mit Tobias Tent (links) Janne Popp blieb erstmals unter 60 Sekunden / Starker Speerwerfer: Florian Schmid / Freude herrschte bei Anna Thaumiller über Bronze / Helena Kopp war in starker Form . . . / ebenso wie Julia Rath (rechts) / Linda Maier stellte einen neuen bayerischen Rekord auf / Die Passauer Staffel mit Franziska Rohmann und Annika Just. Fotos: Theo Kiefner, Claus Habermann

26.07.2023 13:46 // Von: Reinhard Köchl

DM U 20 Rostock: Bayern meldet sich wieder an der Spitze der Landesverbände zurück

Das vergangene Jahr war, bedingt durch einige unvorhergesehene Ausfälle und einige Dellen in den Jahrgängen, nicht gerade optimal. 2023 jedoch hat sich die bayerische Leichtathletik auf der Bühne der Deutschen Jugendmeisterschaften eindrucksvoll zurückgemeldet. Am Ende der dreitätigen Veranstaltung in Rostock stand der Freistaat mit einem der besten Ergebnisse in diesem Jahrtausend wieder an der Spitze aller DLV-Landesverbände. Insgesamt gab es für Bayern 63 Platzierungen unter den ersten acht, 295 Gesamtpunkte, 31 Medaillen (inkl. Staffel) und insgesamt sechs Titel – allesamt absolute Spitzenwerte! Dies ist ein Verdienst der rührigen wie kompetenten Heimtrainerinnen und Heimtrainer, aber auch der hauptamtlichen BLV-Trainerinnen und Trainer, deren Zusammenarbeit nach der etwas mauen Bilanz von Ulm 2022 deutliche Früchte getragen hat.

Wie zu erwarten, gab es in der Altersklasse U 20 eine etwas geringere Ausbeute als in den jüngeren U 18-Jahrgängen (eigener Bericht folgt). Aber gerade hier präsentierten sich die Hoffnungsträger auf die Minute topfit, wobei selbst die mehrstündige Autofahrt in den entlegensten Winkel der Republik oder das wechselhafte Wetter mit heftigen Regengüssen am Schlusstag den guten Leistungen keinen Abbruch taten. Und es waren vor allem die Überraschungen, mit denen vor Beginn der Titelkämpfe niemand gerechnet hatte, wie etwa die fast sensationelle Silbermedaille von Diskuswerfer Jakob Nützel (LG Neumarkt-Freystadt), die dritten Plätze von Janne Popp (LAC Quelle Fürth) über 400 Meter Hürden oder Anna Thaumiller (Sportgemeinschaft Schönau) über 2000 Meter Hindernis oder Kugelstoßerin Helena Kopp (LG Stadtwerke München) sowie eine ganze Reihe von Spitzenplatzierungen. Allerdings gab es auch einen Wermutstropfen zu verdauen. Sprinterin Annika Just (LAC Passau), die im Finale über 100 Meter nach langer Krankheit einen erfreulichen vierten Rang in 11,85 Sekunden belegt hatte, bekam überraschenderweise vor Ort die Nachricht, dass sie für die U 20-Europameisterschaften in Jerusalem (7. bis 10. August) als Einzelstarterin vorgeschlagen würde. Möglich war dies, weil Just eine Woche zuvor bei den Bayerischen U 23-Meisterschaften in Ingolstadt mit 11,73 Sekunden die Norm für Jerusalem unterboten hatte. Doch im Laufe des Sonntags wich die Freude allmählich der Ernüchterung. Aufgrund einer nicht eindeutigen Kommunikation zwischen dem Deutschen und dem Bayerischen Leichtathletik-Verband hatte Letzterer die Meisterschaften in Ingolstadt nicht auf die Liste der Wettkämpfe von World Athletics setzen lassen. Und weil dies seit Mai 2023 auch für die U 20-Jahrgänge als Voraussetzungen für eine regulären Normerfüllung gilt, blieb für Annika Just nur die bittere Gewissheit, keinen Einzelstart in Jerusalem absolvieren zu dürfen. Immerhin besteht für sie noch die Hoffnung auf einen Einsatz in der 4 x 100-Meter-Staffel.

 

Regen stoppt Chiara Sistermann

 

Sichere Medaillenkandidatinnen aus Bayern waren die beiden Stabhochspringerinnen Chiara Sistermann und Lilly Samanski (beide TSV Gräfelfing). Und sie enttäuschten die in sie gesetzten Hoffnung nicht, auch wenn die äußeren Umstände alles andere als leicht waren Der Wettkampf hatte für die Jahresbeste und Titelverteidigerin denkbar ungünstig begonnen: Sistermann startete bei ihrer Einstiegshöhe von 3,90 Metern mit zwei Fehlversuchen. Doch davon ließ sich die U 20-Vize-Weltmeisterin nicht aus der Ruhe bringen. Im dritten Anlauf flog sie über die Latte, bevor sie die vier Meter im ersten Versuch nahm. "Ich bin ganz schwer in den Wettkampf gekommen, das Einspringen war schon nicht gut", meinte Chiara Sistermann.

 

Kurz vor der Jugend-DM hatte sie noch einmal Umstellungen am Anlauf vorgenommen, mit denen sie sich diesmal noch schwertat. Bei 4,05 Metern bewies sie im dritten Versuch erneut Nervenstärke. Das brachte ihr den Sieg vor Vereinskollegin Lilly Samanski, die als zweite Springerin die vier Meter überquerte. 

 

Allein im Wettkampf, ließ Chiara Sistermann 4,20 Meter auflegen. Mit einer Saisonbestmarke von 4,31 Metern wäre diese Höhe unter normalen Umständen im Bereich des Möglichen gewesen. Doch über das Rostocker Leichtathletikstadion ergoss sich ein heftiger Schauer, weshalb sie auf ihren letzten Sprung verzichtete. "Ich wollte vor der U 20-EM kein Verletzungsrisiko eingehen", erklärte die Deutsche U 20-Meisterin diesen Schritt. "Ich musste ja nichts mehr beweisen." Als europäische Jahresbeste freut sich die Bayerin auf die Titelkämpfe in Israel: "Eine Medaille wäre schön." Auf dem fünften Rang landete mit Dana Aehle (TSN Neu-Ulm) eine weitere Springerin aus Bayern. Sie überquerte 3,60 Meter.

 

Silber für Achhammer, Nützel und Rath

 

Mehr als nur die ersten Verlierer waren die weiteren drei Silbermedaillengewinner aus Bayern. Sprinter Maximilian Achhammer (TSV 1880 Schwandorf) hatte alles auf die Karte "200 Meter" gesetzt, nachdem er nach einem souveränen Vorlaufsieg über 100 Meter seinen Verzicht auf Semifinale und den Endlauf erklärt hatte. Die richtige Entscheidung! Nur knapp hinter dem Sieger Denyo Schluckwerder (LAC Berlin; 21,46 Sekunden) kam der Oberpfälzer im Regen von Rostock mit 21,52 Sekunden über die Ziellinie und darf sich nun Hoffnung auf eine Teilnahme an der U 20-EM machen. Gleiches gilt für Julia Rath, die über 3000 Meter Hindernis die Jerusalem-Fahrkarte so gut wie in der Tasche hat und diesmal über 1500 Meter antrat. Fast hätte es für die Penzberger im Fürther Trikot auch hier zum Titel gereicht. Denn die letzte Runde hatte es in sich. Vier Läuferinnen waren beim Rundengong noch dicht beieinander, bevor sich das Spitzenquartett Stück für Stück auseinanderzog. Auf der Gegengerade kämpften dann nur noch Julia Rath (LAC Quelle Fürth) und Emie Lotta Berger (TSV Bayer 04 Leverkusen) um Gold. Die frischesten Beine hatte schließlich die junge Leverkusenerin, die noch der U18 angehört: Sie überholte in der letzten Kurve und erlief sich noch einen deutlichen Vorsprung. Nach 4:23,22 Minuten überquerte die U18-EM-Fünfte des Vorjahres die Ziellinie. Julia Rath legte die Strecke in 4:25,11 Minuten zurück, die Tübingerin Natalie Frank rannte mit deutlichem Abstand nach vorn wie nach hinten zu Bronze.

 

Und dann war da noch Jakob Nützel. Keiner hatte den jungen Mann aus dem Mittelfränkischen vor den Meisterschaften in Rostock auf der Rechnung. Nach Rostock waren jedoch alle schlauer. Mit 56,26 Meter warf er trotz eher hinderlicher Bedingungen bei Regen und dem nassen Ring in den Bereich seiner Bestleistung und musste sich nur dem Doppelsieger Lukas Schober (SG Freital-Weißig 1861; 58,01 Meter) beugen. Eine tolle Leistung, vor der man absolut den Hut ziehen muss!

 

Nils Leifert sah schon wieder sichere Sieger aus

 

Ein Drama der besonderen Art erlebte Hürdensprinter Nils Leifert (LAC Quelle Fürth) im 110-Meter-Hürden-Finale. Der Zweite der deutschen Rangliste (13,61 Sekunden) hatte im Semifinale mit 13,95 Sekunden die beste Zeit der Meisterschaften erzielt und sah im Endlauf bis zur vier Hürden vor Schluss schon wie der sichere Sieger aus. Dann trat er jedoch in eines der Hindernisse, verlor seinen Rhythmus und musste am Schluss mit für ihn enttäuschenden 14,24 Sekunden mit Rang drei und Bronze zufrieden sein. Große Freude herrschte dagegen bei Kugelstoßerin Helena Kopp (LG Stadtwerke München), die wie Phoenix aus der Asche im fünften Durchgang nach oben schoss und ihre Bestleistung auf 15,21 Meter steigern konnte. Der Lohn war auch hier die Bronzemedaille. Trainingsgefährtin Julika Marie Bonewit (LG Stadtwerke München) landete auf dem sechsten Platz mit 13,59 Meter. Die gleiche Medaillenfarbe gab es für Tobias Tent (LG Stadtwerke München) über 1500 Meter, wobei dies auch anders ausgehen hätte können. In einem engen Rennen blieb der vorjährige Deutsche U 18-Meister (3:54,22 Minuten) nur zwei Hundertstel hinter dem Silbermedaillengewinner Tom Kalis (Braunschweiger Laufclub) und ganze 28 Hundertstelsekunden hinter dem Deutschen Meister Jan Dillemuth (Athletics Team Karben), die jedoch beide aus dem älteren U 20-Jahrgang stammen.

 

Linda Maier mit bayerischem Rekord

 

Fast schon standesgemäß und nach den Vorleistungen erwartbar waren die Bronzemedaillen von Kugelstoßer Georg Harpf (LG Stadtwerke München) mit 17,79 Meter (Platz acht ging an Tim Weller, LG Stadtwerke München, mit 15,12 Meter), Speerwerfer Florian Schmid (LG Sempt), der das 800-Gramm-Gerät auf 64,75 Meter schleuderte, und 3000-Meter-Läuferin Linda Meier (LAC Passau), die mit 9,17,01 Minuten nur knapp an Platz zwei vorbeischrammte. Zudem gelang ihr ein neuer bayerischer Rekord (bisher Emma Heckel; 9:18,64 Minuten). Das 3000-Meter-Rennen von Rostock war insofern bemerkenswert, als dass die ersten fünf in der aktuellen europäischen Bestenliste unter den ersten zehn rangieren, Linda Meier dabei auf Rang sechs. Rang sieben belegte hier Tina Klement (LG Telis Finanz Regensburg) in 9:57,93 Minuten. Wie groß die Freude über einen Platz auf dem Stockerl sein kann, ließ sich am Beispiel zweier junger bayerischer Läuferinnen eindrucksvoll nachvollziehen. Die eine, nämlich Janne Popp (LAC Quelle Fürth) lief im Finale über 400 Meter Hürden das Rennen ihres Lebens, blieb erstmals mit 59,91 Sekunden unter der 60-Sekunden-Marke, holte sensationell Bronze und darf nun sogar auf einen Einsatz bei der U 20-EM hoffen. Die andere, nämlich Anna Thaumiller (Sportgemeinschaft Schönau) musste sich über die "Böcke", sprich die 2000 Meter Hindernis, nicht nur mit der geballten deutschen Konkurrenz, sondern auch einem Großaufgebot an bayerischen Konkurrentinnen herumschlagen. Thaumiller schaffte es schließlich auf Platz drei (6:51,05 Minuten) und ließ dabei Hanna Ackermann (LG Telis Finanz Regensburg; 6:55,11 Minuten) auf dem undankbaren vierten Rang zurück, während Frieda Giersdorff (TSV Jahn Freising; 6:57,97 Minuten) als Sechste und Tina Klement (LG Telis Finanz Regensburg; 7:02,46 Minuten) als Achte ins Ziel kamen. Ein weiteres Mal Bronze gab es noch für die weibliche 4 x 100-Meter-Staffel der Startgemeinschaft Passau-Pfarrkirchen, die in der Rostock-Besetzung Lena Nagelschmid, Maria Anzinger, Franziska Rohmann und Annika Just schon seit U 16-Zeiten zusammen läuft und diesmal die Stadionrunde in 45,74 Sekunden absolvierte. Knapp eine Medaille verpasste dabei das LAC Quelle Fürth (Fabienne Kerschbaum, Emy Kraus, Millicent Mensah, Janna Popp) als Vierte (46,79 Sekunden).

 

Linus Liebenwald muss Bronze wieder aus der Hand geben

 

Kein Happyend hatte die Hammerwurf-Konkurrenz für Linus Liebenwald (UAC Kulmbach). Bis zum letzten Durchgang lag er noch auf dem Bronzerang mit 59,21 Meter, bevor ihn Benedikt Schweitzer (TSV Bayer 04 Leverkusen) mit einem Versuch von 59,42 Metern noch auf den vierten Platz verdrängte. Ebenfalls an einer Medaille schnuppern durfte der enorm verbesserte Niklas Amthor (TSV Bad Kissingen) über 400 Meter Hürden. Trotz Regen steigerte der junge Unterfranke seine Bestzeit auf 53,82 Sekunden und belegte Rang vier, ebenso wie Dreispringerin Theresa Wasmeier (TuS 1860 Pfarrkirchen), die sich trotz guter 12,26 Meter mit einem Platz neben dem Podest zufrieden geben musste. Platz acht ging an Johanna Konrad (LG Augsburg; 11,73 Meter).

 

Weitere sehr gute Platzierungen gab Leonie Liebenwald (UAC Kulmbach) im Hammerwerfen (Sechste in 53,75 Meter), Karin Dobiasch (LG Würm Athletik) über 800 Meter (Sechste in 2:14,99 Minuten), Millicent Mensah (100 Meter Hürden; 14.36 Sekunden) und Amelie-Johanna Fraeger (beide LAC Quelle Fürth) über 400 Meter (56,46 Sekunden), die bei auf Platz sieben einkamen, wie auch Maximilian Spielbauer (LAC Passau) über 2000 Meter Hindernis (6:09,00 Minuten) und Julika Marie Bonewit (LG Stadtwerke München) die auf den achten Rang im Hammerwerfen (48,15 Meter) kam.

 

Eine bärenstarke Leistung des gesamten Team Bayern!