Trainingslager / Gerd Raithel und Reinhard Köchl / Alica Schmidt nach dem EM Silbererfolg 2017 / Mona Maier bei den EC 2022 / Vincente Graiani vor seinem EM-Debüt / Fotos: Reinhard Köchl, Theo Kiefner

10.03.2025 07:00 // Von: André Zahl

Reinhard Köchl: "Rückmeldungen gibt es nur bei Fehlern"

In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten hat Reinhard Köchl die Leichtathletik über die bayerischen Landesgrenzen hinweg nicht nur als Heimtrainer, sondern auch als Pressereferent, Disziplintrainer Langhürde/Langsprint und Vizepräsident Leistungssport beim Bayerischen Leichtathletikverband (BLV) maßgeblich mitgestaltet. Nun zieht er sich von seinen Aufgaben zurück. Grund genug, um mit ihm zurückzublicken und gleichzeitig einen Blick auf die Zukunft der Leichtathletik zu wagen.

blv-online:Hallo Reinhard, vielen Dank, dass du dir zum Ende deiner Tätigkeiten als Pressereferent und Vizepräsident Leistungssport beim Bayerischen Leichtathletikverband nochmal die Zeit für dieses Gespräch nimmst, um mit uns über deine Karriere und dein Leben in der Leichtathletik in Bayern zu sprechen. Gerade viele jüngere Sportlerinnen und Sportler werden dich noch nicht so gut kennen, weswegen ich gerne direkt mit der Gretchenfrage einsteigen möchte: Was war denn deine Lieblingsdisziplin als aktiver Leichtathlet und was waren deine größten Erfolge als Sportler?

 

Reinhard Köchl: Mit elf Jahren habe ich in Neuburg an der Donau mit der Leichtathletik begonnen. Wir haben die Leichtathletik damals als Abenteuerspielplatz empfunden und hatten zu Beginn gar keinen Trainer, sondern haben uns alles selbst beigebracht. Wir hatten den Schlüssel zur Gerätehütte, konnten nach Lust und Laune sprinten, springen und werfen und haben zwischendurch unsere Hausaufgaben auf der Stabhochsprungmatte gemacht. Und wenn uns dann langweilig war, haben wir auch mal Fußball gespielt. Es waren paradiesische Zustände, heute kaum mehr vorstellbar!

 

Das hört sich nach einer sehr glücklichen Kindheit, aber noch nicht so richtig nach Leistungssport an?

 

Reinhard: Mit der Zeit habe ich dann auch an Wettkämpfen teilgenommen und wurde dort zunächst als Sprinter entdeckt. Meine ersten organisierten Trainings hatte ich in einer reinen Mädchengruppe. Was ich damals nicht wusste, war, dass diese Mädels zu den Besten in Bayern und Süddeutschland gezählt haben, und so bin ich gerannt wie ein Wahnsinniger und war jedes Training halb bewusstlos. Als pubertierender Bursche wollte ich natürlich besser sein als die. Mit der Zeit bin ich so auch ein ganz guter Läufer geworden.  Dann wurde ich vor die Wahl gestellt, ob ich lieber einen Stabhochsprungstab oder einen Hammer in die Hand nehmen möchte, da dies die beiden Kerndisziplinen unseres Vereins waren. Ich habe mich für den Hammer entschieden, weil mir das andere zu gefährlich schien, wurde da ziemlich schnell ganz gut und konnte einige Erfolge feiern.

 

Wenn du dich in die Zeit damals zurückversetzt, was würdest du sagen sind die größten Unterschiede zum Leichtathletikdasein heute?

 

Reinhard: Heute sind die Vereine sehr organisiert, das Trainingsangebot beschränkt sich auf zwei Stunden am Tag und die Materialien und Anlagen sind aus nachvollziehbaren Gründen gut weggesperrt. Alles erinnert sehr an schulische Strukturen. Wir durften uns damals einfach ausprobieren. Für uns war der Sportplatz ein zweites Zuhause, wo wir uns verwirklichen konnten.

 

Zwischen deiner Zeit als aktiver Sportler und dem Beginn der Tätigkeiten beim BLV sind einige Jahre vergangen, in denen du unter anderem als Journalist für viele unterschiedliche Zeitungen bundesweit gearbeitet hast. Wie ist es zu deinem ersten Engagement beim Verband gekommen?

 

Reinhard: 2008 kam es zu einer unerwarteten Veränderung in meiner beruflichen Laufbahn, und in der Zeit der Suche nach einer neuen Tätigkeit wurde ich vom damaligen BLV-Geschäftsführer Toni Thalhammer kontaktiert, weil ein Pressereferent nach dem Abschied von Gerd Raithel gesucht wurde. Die Gespräche verliefen sehr positiv, und so übernahm ich dann von einem Tag auf den anderen plötzlich die Pressearbeit des größten deutschen Leichtathletiklandesverbands.

 

Viel Zeit zur Einarbeitung ist dir damals aber gar nicht geblieben, weil du direkt mit einem der bis heute größten Skandale der Bayerischen Leichtathletik zu tun hattest.

 

Reinhard: Ich hatte die Position erst seit weniger als einem Monat inne, als der Missbrauchsskandal um einen Sprinttrainer große Wellen schlug. Da musste ich auch gegenüber Fernsehsendern meinen Kopf hinhalten. Natürlich war das eine sehr schwierige Situation, die ich mir anders gewünscht hätte, aber es ging eben nicht anders.

 

Der Verband wurde für seinen transparenten Umgang mit der Thematik und die entsprechenden Konsequenzen damals vielfach gelobt. Nach diesem harten Einstieg muss dir die weitere „normale“ Pressearbeit vergleichsweise leicht von der Hand gegangen sein?

 

Reinhard: Leider ist es immer schwierig, weil man gerade in einer Individualsportart wie der Leichtathletik oft nur dann Feedback bekommt, wenn etwas nicht passt. Meistens war das Kritik von den Eltern, wenn ich in einem Artikel einen Namen falsch geschrieben, oder gar einen Sportler vergessen habe. Lob gibt es nur sehr selten. Ich habe versucht, den Schwerpunkt meiner journalistischen Arbeit auf Themen zu legen, die die Leute interessieren, und die Bayerischen Meisterschaften sind da natürlich unser Kerngeschäft. Aber es stimmt schon, dass man Gott sei Dank vor allem über viele gute Dinge berichten konnte, da sich die Leichtathletik in Bayern seither doch sehr positiv entwickelt hat.

 

Du bist damals auch Trainer beim MTV 1881 Ingolstadt gewesen, und hast diese positive sportliche Entwicklung in Bayern, wie viele andere Trainer auch, aktiv mitgestaltet. Würdest du sagen, dass du von deinen Erfahrungen als „sportliche Allzweckwaffe“ auch als Trainer in der Leichtathletik profitiert hast?

 

Reinhard: Zweifellos! Mir sind sportartübergreifende Aspekte immer schon sehr wichtig gewesen. Durch meine langjährige Tätigkeit als Spieler, Funktionär und Schiedsrichter im Volleyball, ebenso wie als Spieler, Trainer und Schiedsrichter im Fußball, habe ich vor allem eines gelernt: Teamgeist.

 

Und Leichtathleten sind von Natur aus dann doch eher Individualisten.

 

Reinhard: In der Leichtathletik arbeiten die meisten auf eigene Rechnung. Und dann stellen wir immer wieder ganz wundersame Veränderungen fest, wenn sich junge Leute zu Staffeln oder Mannschaftwettbewerben formieren. Da glänzen die Augen plötzlich auf eine Art und Weise, wie wir sie im Einzelsport ganz selten finden. Und genau diese Dinge waren mir immer schon sehr wichtig!

 

Nun ist dir in deiner Trainerkarriere der Kunstgriff gelungen, mit Sportlern in den Disziplinblöcken Lauf, Sprint, Sprung und Wurf bei nationalen Meisterschaften Medaillen zu gewinnen. Würdest du sagen, dass vor allem auch die Erfahrungen aus den anderen Sportarten einen wesentlichen Beitrag zu diesem Erfolg geleistet haben?

 

Reinhard: Wir haben in Bayern und in ganz Deutschland viele Trainerinnen und Trainer, die hervorragende Arbeit leisten. Was mir als Trainer immer sehr wichtig war: Ich bin nicht der Nabel der Welt! Im besten Sinne des Wortes gebe ich die Richtung für meine Sportlerinnen und Sportler vor und trage die sportliche Verantwortung. Dennoch steht der Sportler beziehungsweise die Sportlerin im Mittelpunkt. Ich habe es als meine Aufgabe gesehen, die Athleten entsprechend ihrer Veranlagung zu fördern und zu begleiten. Da ich über den Sprint und den Wurf sehr viel aus meiner eigenen Karriere wusste, habe ich mich insbesondere auch im Sprung und Lauf weitergebildet, um die unterschiedlichen Talente meiner Sportlerinnen und Sportler bestmöglich zu fördern.

 

Und der Erfolg hat dir und dieser Strategie recht gegeben. Vor allem zwei deiner ehemaligen Schützlinge kennt heute jeder Leichtathlet, weil sie aktuell auf nationaler und internationaler Bühne sehr erfolgreich unterwegs sind. Wie haben die Karrieren der beiden sehr unterschiedlichen 400-Meter-Läuferinnen Alica Schmidt, die derzeit für den SCC Berlin startet, und Mona Mayer, die aktuell das Trikot der LG Telis Finanz Regensburg trägt, bei dir ihren Anfang genommen?

 

Reinhard: Alica habe ich im Alter von zwölf Jahren in Ingolstadt in meine Gruppe bekommen und mit ihr die komplette Pubertät durchgemacht. Das war für uns beide nicht immer einfach und herausfordernd. 2017 konnten wir ihren bislang größten Erfolg feiern, als sie mit der deutschen U 20-Staffel-Vizeeuropameisterin über 4x400 Meter in Grosseto/Italien wurde. Kurz danach explodierte ihr Instagram-Account förmlich, heute ist sie eine Social Media-Berühmtheit. Der Schritt erst nach Potsdam und dann nach Berlin zu gehen war für sie genau der richtige zum richtigen Zeitpunkt. Wir haben auch heute noch guten Kontakt und ich war sehr glücklich, sie vergangenes Jahr mit der 4x400 Meter Staffel bei den Olympischen Spielen in Paris sehen zu dürfen!

 

Wo sie in der DLV-Staffel auf Position zwei den Staffelstab direkt auf Mona als dritte Läuferin übergeben hat.

 

Reinhard: Es war ein überwältigendes Gefühl, die beiden dort gemeinsam zu sehen! Mona kam 2016 mit ihrer Mutter Ruth Mayer, der heutigen Teamleiterin Sprint im BLV, zu mir nach Ingolstadt. Ich hatte den beiden bereits zuvor ein wenig bei der Trainingssteuerung geholfen, als sie noch bei der LG Sempt waren. In diesem Jahr ist Mona dann auch Deutsche U16- Meisterin über 300 Meter geworden. In Ingolstadt haben wir dann das Training dieser zwei so unterschiedlichen jungen Frauen zum gegenseitigen Nutzen gebündelt.

 

Wie man hört, wagt Alica ja jetzt sogar den nächsten Schritt.

 

Reinhard: Sie hat den nötigen Mut, um diese Herausforderung zu meistern. Wir haben ja in Ingolstadt schon hauptsächlich auf die 800 gesetzt, aber das klappte nicht so recht, weshalb wir 2015 entschieden haben, es mal mit den 400 Metern zu versuchen. Ich bin aber überzeugt, dass sie diesen Sprung meistern wird! Und Mona hat nach wie vor ein unglaubliches Potenzial über die 400 Meter, wurde zuletzt aber leider immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen. Ich wünsche ihr, dass sie diese Phase nun endlich hinter sich lassen kann und im Sommer dann wieder ihr wahres Können unter Beweis stellt.

 

Um als Trainer langfristig erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler zu trainieren, bedarf es einer gewissen Erfahrung. Es ist erfreulich, dass sich nach wie vor viele junge Menschen gegen Ende ihrer Sportlerkarriere für eine Trainerkarriere entscheiden, ebenso wie es auch bei dir der Fall war. Welche Ratschläge würdest du jungen Trainerinnen und Trainern mit auf den Weg geben? Und vor welchen Fehlern sollten sie sich deiner Meinung nach hüten?

 

Reinhard: Das ist eine schwierige Frage, weil jeder Mensch anders tickt. Will sich ein junger Sportler im Training nur die Zeit vertreiben oder will er wirklich Leistungssport machen? Als Trainer muss man belastbar und engagiert sein und versuchen einen klaren Blick zu bewahren. In der Leichtathletik beobachten wir oft, dass talentierte Körper nicht in der Lage sind, Höchstleistungen zu erbringen, weil ihnen der mentale Aspekt fehlt.

 

Siehst du die sportpsychologische Betreuung und Entwicklung eines Sportlers denn ausschließlich als Aufgabe des Trainers an?

 

Reinhard: Der Heimtrainer ist die Schlüsselfigur. Er muss ein Vertrauensverhältnis zum Sportler oder zur Sportlerin aufbauen und gleichzeitig klare Grenzen ziehen. Der junge Mensch ist nicht sein Besitz!  Wenn es ihm gelingt, hier ein gutes Maß an Nähe und Abstand zu finden, kann er seinen Schützling beraten und ihm gewisse Werte vermitteln. Wir sind jedoch keine Erziehungsberechtigten und auch keine Sozialarbeiter. Unsere Tätigkeit beinhaltet zwar viele soziale Lernprozesse, es wäre jedoch vermessen anzunehmen, wir könnten beispielsweise bestehende Probleme im Elternhaus auffangen. Die Sportpsychologie könnte in diesem Zusammenhang ein potenzielles Feld sein, das man gegebenenfalls gemeinsam mit Spezialisten angeht.

 

Nun kennst du das Trainerdasein nicht nur als Heimtrainer, sondern bist über viele Jahre als BLV Disziplintrainer Langsprint und Langhürden ja auch für Kadersportlerinnen und -sportler zuständig gewesen. Was waren deine schönsten Momente als Kadertrainer?

 

Reinhard: Die Zusammenarbeit im Team, gemeinsam mit den Heimtrainern und den anderen Kadertrainern, ist sicherlich ein besonderes Highlight der Arbeit mit dem Kader. Wenn wir beispielsweise Trainingspläne einsehen, diskutieren und ein paar Feinjustierungen vorschlagen durften, und sich junge Sportler dann in der Saison exorbitant verbessert haben, und teilweise auch Freudentränen geflossen sind, dann sind das meiner Meinung nach die schönsten Momente gewesen. Das Wörtchen "Danke" gewinnt in solchen Momenten noch einmal zusätzlich an Bedeutung.

 

Neben der Trainertätigkeit ist deine Arbeit als Vizepräsident im Leistungssport dahingehend von entscheidender Bedeutung gewesen, dass du bundesweit weitreichende Entscheidungen in der Leichtathletik mit beeinflussen konntest. Ein Beispiel ist die Erarbeitung eines neuen einheitlichen Kadertests gewesen, der für uns heute zum Standard geworden ist. Was waren dabei die schönsten oder auch schwierigsten Erfahrungen?

 

Reinhard: Im Sport gibt es selten einfache Zeiten, es sind immer herausfordernde Aufgaben, denen man sich dort stellen muss. 2018 sahen wir uns als Verband mit einem hohen Mittelaufwuchs konfrontiert, was grundsätzlich als sehr positiv zu werten ist. Diese Mittel nachhaltig und sinnvoll einzusetzen ist jedoch eine alles andere als einfache Aufgabe gewesen, weil wir innerhalb kürzester Zeit qualifizierte Trainerinnen und Trainer für die entsprechenden Tätigkeiten finden mussten.

 

… was euch rückblickend wirklich gut gelungen ist, wenn man sich die seitdem weitgehend unveränderte Personalkonstellation im Hauptamt und das Abschneiden der bayerischen Sportlerinnen und Sportler bei den nationalen und internationalen Einsätzen der vergangenen Jahre vor Augen führt. Da hat der BLV stets Spitzenpositionen belegen können.

 

Reinhard: Ich bin auch der Meinung, dass wir damals zum allergrößten Teil sehr gute Entscheidungen getroffen haben. Nichtsdestotrotz stehen wir jedes Jahr erneut vor der Herausforderung, das Vorjahresergebnis zu verteidigen oder zu verbessern, um die erforderlichen Finanzmittel zu generieren. Eine positive Entwicklung war die Einrichtung eines Bundesstützpunktleiters in München, der vom BLV mitfinanziert wird. Also quasi in Personalunion auch ein Leitender Landestrainer.

 

Das bedeutet, dass auch die Zusammenarbeit zwischen dem BLV und dem Deutschen Leichtathletikverband (DLV) als Dachorganisation verbessert worden ist?

 

Reinhard: Es ist definitiv ein Schritt nach vorne gewesen. Was wird noch brauchen, ist eine Planstelle als Bundesstützpunkttrainer Sprint für den Stützpunkt München, um der hohen Leistungsfähigkeit des Stützpunkts Rechnung zu tragen. Die zukünftige Entwicklung in diesem Bereich werde ich nun aus der Ferne interessiert weiterverfolgen.

 

Eine für alle Menschen sehr prägende Zeit ist die Corona-Pandemie mit den entsprechenden starken Einschränkungen gewesen. Wie hast du es als Verantwortlicher des Verbands geschafft, so viele bayerische Leistungssportlerinnen und -sportler so gut durch diese Krise zu manövrieren?

 

Reinhard: Der Anfang war eigentlich erstaunlich einfach, weil ich in meiner Funktion als Pressereferent damals, als niemand genau wusste, was Sache war, versucht habe Informationen zu bekommen, indem ich den Leuten im Innenministerium über sämtliche Kanäle konsequent auf die Nerven gegangen bin. Das hatte zur Folge, dass ich einer der Ersten war, die gefragt wurden, welche Bedingungen Leistungssportler denn eigentlich brauchen, um weiter konkurrenzfähig zu sein. Das Ergebnis war, dass wir einer derjenigen Leichtathletikverbände in Deutschland waren, der mit den größten Handlungsspielraum für seine Leistungssportler bekommen hat.

 

Aber auch an dieser Stelle waren die Konflikte programmiert.

 

Reinhard: Es ist klar, dass wir eine Unterscheidung zwischen Leistungssport und Breitensport vornehmen mussten. Das hat vor allem das Gros der Vereine nicht verstanden, denn sie wollten die gleichen Freiheiten wie andere. Das verstehe ich noch heute, nur gab es aus damaliger Sicht keine andere Handlungsoption. Da war zum Teil sehr viel Druck im Kessel und insbesondere ich bin zur Zielscheibe des ganzen Unmuts geworden.

 

Leistungsmäßig ist Bayern rückblickend sehr gut aus der Pandemie herausgekommen und sogar zum bundesweit dominierenden Landesverband geworden. Doch trotz der großen Zugeständnisse haben auch der BLV und die Leichtathletik insgesamt stark unter den Auswirkungen der Pandemie gelitten.

 

Reinhard: Natürlich ist das Vereinswesen ist sehr stark getroffen worden. Der Rückgang der Mitgliederzahlen hat sich mittlerweile aber stabilisiert und die Zahlen haben fast wieder das Niveau vor der Pandemie erreicht. Und zum Glück sind auch die finanziellen Schwierigkeiten, die in dieser Zeit entstanden sind, mittlerweile weitgehend überwunden.

 

Eine erste „Normalität“ im Spannungsfeld zwischen Pandemie und Leistungssport hat sich dann im Sommer 2021 wieder eingestellt.

 

Reinhard: Es ist erfreulich, dass wir vergleichsweise schnell wieder halbwegs normale Verhältnisse hatten, was sich bei den European Championships 2022 in München ausgezahlt hat. Dass dieses Sportfest für uns so erfolgreich gelaufen ist, lag vor allem auch daran, dass wir gerade noch rechtzeitig die Kurve zu einer „neuen Normalität“ im Leistungssport bekommen haben.

 

Wo wir gerade von neuer Normalität sprechen, lass uns doch auch noch einen Blick in die Zukunft wagen. Die Welt befindet sich in einem sich im rasanten Wandel, der auch vor der Leichtathletik keinen Halt machen wird. Aufgrund deiner langjährigen Erfahrung: Welche Probleme oder Gefahren sind deiner Meinung nach für die Leichtathletik der kommenden fünf bis zehn Jahre zu erwarten?

 

Reinhard: Die Leichtathletik ist eine altmodische Sportart, die sich selbst keinen Gefallen tut, wenn sie dogmatisch auf alten Regeln beharrt. Viele Messungen erfolgen mittlerweile elektronisch, aber wir haben nach wie vor sehr langatmige, um nicht zu sagen langweilige Events, die viele potenzielle Interessenten abschrecken, vor allem medial – das ist auch das Berufsfeld, in dem ich mich auskenne. Beim 100-Meter-Finale bei Olympia in Paris etwa haben in Deutschland zehn Millionen Menschen eingeschaltet. Wenn man sieht, wie wenig Leichtathletik sonst in den Medien präsent ist, ist das beschämend. Die Leichtathletik hat es selbst in der Hand, ihre Sportart grundsätzlich neu aufzustellen, Dinge auf den Prüfstand zu stellen und anzupassen, wie es zuletzt beispielsweise beim Biathlon und Skispringen geschehen ist. Anders werden wir aus der Ecke der Randsportarten nicht mehr herauskommen.

 

Welche weiteren Probleme hat die Leichtathletik deiner Meinung nach?

 

Reinhard: Die gegenwärtige Zentralisierung halte ich für einen grundlegenden Fehler. Es ist essenziell, jungen Talenten die Möglichkeit zu geben, sich in ihrer natürlichen Umgebung zu entfalten und zu entwickeln. Sie sollten nicht bereits im Alter von 14 Jahren an eine Eliteschule in einer größeren Stadt wechseln müssen, weil es der Verband so will. Gebt den Leuten doch die Zeit und schickt die Trainer zu ihnen raus! Ich denke wir brauchen da viel mehr Geduld, um nachhaltige Erfolge zu gewährleisten.

 

Und auf der anderen Seite wählen viele Sportlerinnen und Sportler, wenn sie mit Abschluss der schulischen Ausbildung alt genug für einen Wechsel in ein professionelles Setting sind, dann den Weg nach Amerika anstelle eines deutschen Leistungszentrums.

 

Reinhard: Wir alle freuen uns über die herausragenden Erfolge von Leo Neugebauer, zu dessen Entwicklung wir in Deutschland aber absolut nichts beigetragen haben. Es gibt zahlreiche Sportlerinnen und Sportler, die diese Sportart mit Leidenschaft ausüben und alles dafür tun würden, aber nicht die notwendige Unterstützung erhalten. Es geht um nachhaltige Unterstützung von Sportlerinnen und Sportlern, die sich irgendwann mal für einen Bundeskader qualifiziert haben. Man darf diese Leute auch in Verletzungsphasen oder persönlichen Krisen nicht einfach fallen lassen!

 

Würdest du sagen, die Leichtathletik in Deutschland ist zu elitär geworden?

 

Reinhard: Ja! Wir helfen unseren Sportlern nicht mehr, wir stülpen ihnen irgendein System drüber und lassen sie damit dann allein. Das finde ich nicht gut!

 

Du hast dein gesamtes Leben dem Sport gewidmet. Was machst du jetzt mit der vielen freien Zeit, nachdem du das große Kapitel „Leichtathletik“ nun beendest?

 

Reinhard: Momentan bin ich als Reporter bei der Augsburger Allgemeinen unterwegs und bin für diesen Job sehr dankbar! Solange ich körperlich und geistig dazu in der Lage bin, möchte ich mich in diesem beruflichen Feld so gut engagieren, wie es mir möglich ist. Darüber hinaus möchte ich auch meinen Töchtern etwas zurückgeben, auch wenn sie jetzt erwachsen sind, und es früher nötiger gehabt hätten, als ich mehr Zeit auf dem Sportplatz als mit ihnen verbracht habe. Ich denke, dass wir da auf einem guten Weg sind. Bedanken möchte ich bei dieser Gelegenheit noch bei einigen wichtigen Menschen, ohne die ich in der Leichtathletik nicht so weit gekommen wäre. Das wären zum einen Karl Eberle vom MTV Ingolstadt, Toni Thalhammer, Karl Rauh, Gerd Raithel, die mir meinen Einstieg beim BLV ermöglicht haben, Joachim Lipske, der aus mir einen „anständigen“ Trainer gemacht hat, und Ruth Mayer für die stets vertrauensvolle und fruchtbare Zusammenarbeit bei unserer gemeinsamen Trainingsgruppe. Aber auch bei Jörg Stäcker, Dieter Claus, Gerhard Zorn, Claus Habermann, Simon Holländer, Theo Kiefner und bei dir für die Hilfe bei der Pressearbeit. Hoffentlich habe ich jetzt niemanden vergessen. Aber wie schon erwähnt: Rückmeldungen gibt es ja nur bei Fehlern…

 

Im Namen des gesamten Bayerischen Leichtathletikverbands bedanke ich mich ganz herzlich für dein unglaubliches Engagement für unsere Sportart und wünsche dir für deine Zukunft und deinen weiteren Weg alles Gute!