Alexandra Burghardt // Tristan Schwandke // Johannes Bichler // Simon Boch // Isabel Mayer // Lisa Schuster // Benedikt von Hardenberg. Alle Fotos: Theo Kiefner

05.06.2021 20:46 // Von: Reinhard Köchl

DM Braunschweig Tag 1: Die sensationelle Auferstehung der Alexandra Burghardt

Es hatte sich schon in den vergangenen Wochen abgezeichnet. Zwei bayerische Rekorde über 100 und 200 Meter sowie starke Zeiten am Fließband: Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen), die viele schon in die Schublade "Vergessene Talente" ablegen wollten und nicht einmal mehr einem DLV-Kader angehört, war plötzlich wieder eine Sprinterin, auf die man achtete. Die Krönung erfolgte freilich am ersten Tag der 121. Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Braunschweig. Als schon das Flutlicht eingeschaltet, stürmte die 27-jährige Oberbayerin im 100-Finale nach einem glänzenden Start nach vorne und wurde tatsächlich Deutsche 100-Meter-Meisterin. Damit nicht genug: Mit 11,14 Sekunden stellte sie einen neuen bayerischen Rekord auf und erfüllt sich mit der Norm für die Olympischen Spiele in Tokio einen weiteren Traum. Gold und Silber gingen auch an die Hammerwerfer Tristan Schwandke (TV Hindelang) und Johannes Bichler (LG Stadtwerke München). Simon Boch (LG Telis Finanz Regensburg) holte über 5000 Meter Bronze.

Im Ziel konnte sie vor Freude schier nur noch taumeln. Alexandra Burghardt sorgte im 100-Meter-Finale für einen der wohl emotionalsten Momente des ersten Tages der Deutschen Meisterschaften in Braunschweig. Die 27-Jährige, die vom ehemaligen BLV-Teamleiter Sprint Patrick Saile (heute Nationaltrainer in der Schweiz) trainiert wird, erwischte einen phänomenalen Start und schaffte es, die hohe Frequenz bis ins Ziel zu halten. Und das, obwohl sie im Augenwinkel Lisa Mayer (Sprintteam Wetzlar) heranfliegen sah. 11,14 Sekunden ihre Siegerzeit – Gold! Und das direkte Olympia-Ticket. „Ich bin endlich über mich hinausgewachsen und habe gezeigt, was in mir steckt“, sagte die Sprinterin tränenüberströmt. Über Silber freute sich Lisa Mayer in starken 11,16 Sekunden vor ihrer Vereinskollegin Rebekka Haase (11,32 Sekunden).

 

"Vor dem Finale war es tatsächlich mein Ziel, zu gewinnen", erklärte Alexandra Burghardt mit Tränen in den Augen gegenüber leichtathletik.de. "Die Zeiten waren alle so eng beieinander, dass ich wusste, dass das mit einem technisch sauberen Lauf möglich sein kann. Heute ist ein Kindheitstraum für mich in Erfüllung gegangen. Ich bin noch sprachlos. Ich bin sehr glücklich mit meiner Trainingsgruppe in Zürich, ich habe die richtig gerne. Das hat sich heute auf den Wettkampf übertragen. Mein Start war sehr gut. Ich hatte mir aber schon gedacht, dass ich bei 60 Metern noch vorne sein werde. Nun habe ich es geschafft, bei mir zu bleiben und diesen Vorsprung auch endlich über die Ziellinie zu bringen. Ich wollte den Sieg unbedingt nach Hause laufen. Ich konnte in meiner Spur bleiben und das durchziehen. Morgen möchte ich über die 200 Meter auch noch einmal mit Olympia-Norm nachlegen.

 

Erneuter bayerischer Doppelsieg im Hammerwerfen

 

Nach dem Dreier-Bayern-Podest von Berlin 2019 und dem Doppel-Erfolg von Braunschweig 2020 bewiesen die weißblauen Hammerwerfer auch in diesem Jahr, dass sie in dieser Disziplin das Maß aller Dinge in Deutschland darstellen. Hin und wieder wechseln die Hauptdarsteller, doch eine spielt beinahe unbeirrt seine Rolle: Tristan Schwandke. Er gewann zum dritten Mal in Folge souverän den Titel - quasi ein Gold-Abo. Auch eine beschwerliche Anreise vom Allgäu nach Niedersachsen konnte Schwandke nicht stoppen. Mit jedem seiner gültigen Würfe hätte der 29-Jährige in Braunschweig den Titel abgeräumt. Sein weitester Versuch landete bei 73,52 Metern. „Ich bin guter Dinge, dass die Olympianorm in einem der nächsten Wettkämpfe fällt“, sagte Tristan Schwandke. 77,50 Meter sind hier gefordert.

 

Bei den Hauptdarstellern der bayerischen Hammerwurf-Soap gibt es noch einen zweiten Namen: Johannes Bichler hatte bereits 2019 im Berliner Olympiastadion vor seinem inzwischen zurückgetretenen Vereinskollegen Simon Lang Silber gewonnen. Nach einem Jahr Pause wiederholte der Deutsche Meister von 2018 dieses Kunststück nun mit Jahresbestleistung von 66,99 Meter. Merlin Hummel (UAC Kulmbach) der 2020 noch den Vizetitel errungen hatte, musste diesmal Lehrgeld zahlen. Nach drei ungültigen Versuchen war der Wettkampf für den derzeit besten U 20-Jugendlichen Deutschlands beendet.

 

Anschließend ließ Tristan Schwandke den Wettkampft Revue passieren: "Der erste Weg ist erst mal, einen gültigen Wurf zu haben, der einen unter die ersten acht bringt, damit man auch sechs Würfe hat. Und dann sich Schritt für Schritt zu steigern. Aber man sieht auch, wie es heute war, mit Netzwürfen und Unterbrechungen, dann ist es alles nicht so ganz einfach. Darauf muss man sich einstellen. Da zählt dann auch nicht unbedingt die Olympianorm, sondern dann gilt es erst mal, den Titel zu sichern und dann zu schauen, was die anderen machen. Ich habe mich technisch in den letzten Jahren enorm verbessert. Jetzt habe ich die Mischung aus ´Energie reinbringen in mein System`, das technische System stabil halten und oben auch die Lockerheit behalten, den Hammer laufen lassen. Dann kommt so viel Geschwindigkeit beim Hammerkopf an, dass sich Weiten um die 77 Meter rausstellen. Heute konnte ich die Lockerheit oben nicht halten, weil die Beine nicht mitgespielt haben. Ich hatte Wadenkrämpfe, ich hatte Oberschenkelkrämpfe, auch schon beim Einwerfen, das habe ich auch nicht mehr rausbekommen. Dann zog sich der Wettkampf auch noch so lang, die Beine wurden immer schwerer und dann musste ich wirklich schauen, dass ich mit dem technischen Niveau, das ich abrufen kann, entsprechend auch die Lockerheit behalte und dann eine Weite werfe, die solide ist. Aber für die Norm war es dann halt heute einfach unrealistisch nach einer turbulenten Neun-Stunden-Anreise. Jetzt kommt nächste Woche erst einmal Fränkisch-Crumbach [Odenwänder Hammerwurf-Meeting], dann eventuell zwei Wettkämpfe hintereinander in Leverkusen, das steht aber noch nicht fest. Eventuell auch am 29. Juni das Meeting in Luzern. Ich habe noch viele Chancen. Ich bin in Topform, ich werfe die Norm auch im Training. Durchaus nicht jeden Tag, aber auf jeden Fall einmal die Woche. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass die Norm noch kommen wird."

 

Simon Bochschnappt sich Edelmetall über 5000 Meter

 

Die 5000 Meter waren eine Demonstration der Stärke von Mohamed Mohumed (LG Olympia Dortmund). Der Titelverteidiger, der am Donnerstag noch in Huelva (Spanien) seine Bestleistung auf starke 13:21,21 Minuten gedrückt hattem, lieferte taktisch, läuferisch und auch mental ein weiteres Meisterstück ab. Nachdem sein Vereinskollege Steffen Baxheinrich das Feld auf Kurs gebracht hatte, übernahm der 22-Jährige die Spitze. Sein ärgster Konkurrent: der Deutsch-Amerikaner Sam Parsons. Der WM-Teilnehmer im Trikot der Eintracht Frankfurt kämpfte, lauerte im Nacken des Dortmunders. Doch dann verschärfte Mohamed Mohumed weiter, fuhr seinen eleganten, raumgreifenden Schritt, der nicht nur so schön anzusehen, sondern auch unfassbar schnell ist. Sam Parsons musste abreißen lassen, kämpfte und stieg dann entkräftet 500 Meter vor dem Ziel aus. Dadurch rückte Marathon-Ass Simon Boch auf den Bronzerang vor. Von all dem bekam der alte und neue Deutsche Meister nichts mit und lief mit ausgebreiteten Armen in 13:30,78 Minuten ins Ziel. 13:30,78 Minuten – das ist die schnellste Siegerzeit bei Deutschen Meisterschaften seit 1998 und Dieter Baumann. Entsprechend stark, erst recht für ein DM-Finale, waren die weiteren Zeiten. Maximilian Thorwirth (SFD 75 Düsseldorf-Süd) lief in 13:48,22 Minuten zu Silber vor Boch (13:53,53 Minuten). AufPlatz fünf landete mit Tim Ramdane Cherif (LG Telis Finanz Regensburg) Bochs Trainingspartner (14:26,32 Minuten).

 

Mehrlämpferin oder Hürdenspringerin? Diese Frage stellt sich nicht nur Isabel Mayer (LG Telis Finanz Regensburg) immer mehr - vor allem nach ihrem glänzenden vierten Rang im DM-Finale von Braunschweig über 100 Meter Hürden. Hinter bekannten Namen wie Ricarda Lobe (MTG Mannheim), Anne Weigold (LG Mittweida) und Monika Zapalska (LC Paderborn) schrammte die Regensburgerin um vier Hundertstelsekunden an ihrer Bestzeit vorbei. Neun Hundertstel fehlten zur Medaille.

 

Geballte Bayernpower gab es auch im Dreisprung-Finale der Männer. Gleich drei Sportler aus dem Freistaat konnten sich dafür qualifizieren. Mit der Vergabe der Medaillen hatten Paul Walschburger (LG Stadtwerke München; Fünfter mit 14,99 Meter), Gabriel Wiertz (TuS Pfarrkirchen; Sechster mit 14,94 Meter) und Benedikt von Hardenberg (LG Telis Finanz Regensburg; Achter mit 14,73 Meter) jedoch nichts zu tun. Auch im Männer-Finale über 100 Meter war mit Yannick Wolf (LG Stadtwerke München) ein bayerischer Starter vertreten. In einem engen Finish trennten ihn als Sechster (10,37 Sekunden) nur sieben Hundertstelsekunden von einem Medaille. Immerhin konnte er sich hauchdünn vor dem deutschen Rekordhalter Julian Reus (LC Top Team Thüringen; 19,37 Sekunden) platzieren. Bei den Frauen belegte Lisa Schuster (LAC Quelle Fürth) über 3000 Meter Hindernis den achten Rang. Sieben Jahre nach ihrem DM-Debüt bei der ersten deutschen U 16-Meisterschaft benötigte sie bei ihrer Premiere bei den Erwachsenen 11:04,52 Minuten. 

 

In aussichtsreiche Positionen für ihre Finals haben sich Johannes Trefz (TSV Gräfelfing) mit der viertbesten Halbfinalzeit über 400 Meter (46,53 Sekunden) sowie Christina Hering und Katharina Trost (beide LG Stadtwerke München), die beide ihre Halbfinals souverän gewannen (Hering: 2:03,18 Minuten, Trost: 2:04,20 Minuten).