Clemens Bleistein startet bei der Hallen-WM in Birmingham: "Der Vorlauf ist mein Finale"
Ob es für Clemens Bleistein einen entscheidenden Unterschied zwischen EM und WM gibt, welche der 15 Runden besonders schmerzhaft sind und warum er im Vorlauf gerne gegen einen Briten antreten würde, erzählt er im Interview.
Clemens, erinnerst du dich noch an das Ergebnis deines ersten Cooper-Tests im Schulsport? 3000 Meter in zwölf Minuten war für die sportlicheren Schüler bereits ein hoch gestecktes Ziel.
Clemens Bleistein: Ich glaube, bei meinem ersten Test bin ich 3100 Meter weit gekommen. In Richtung Abitur klappte es dann aber schon mit der Höchstpunktzahl, die damals 3200 Metern entsprach. Das motivierte mich. Wenig später, also 2008, habe ich an den Deutschen Jugendmeisterschaften im Olympiastadion in Berlin teilgenommen – das war ein ganz besonderes Erlebnis. Mich faszinierte von Beginn an die Objektivität und Einfachheit des Wettkampfs: Wer als Erster im Ziel ist, hat gewonnen.
Deine aktuellen Topleistungen kommen nicht von ungefähr. Sehr viel Zeit fließt ins Training. Wie ist das Verhältnis von Trainings- zu Wettkampfkilometern?
Bleistein: In Vorbereitung und während der aktuellen Hallensaison laufe ich seit fünf Monaten zirka 120 Kilometer in der Woche. Über die gesamte Dauer waren es bisher also mehr als 2000 Trainingskilometer im Olympiapark, im Nymphenburger Schlosspark oder entlang der Auffahrtsallee. Fünf Hallen-Wettkämpfe mit insgesamt zwölf Kilometern habe ich seit Januar bestritten – die Wettkampfkilometer fallen also kaum ins Gewicht. In den nächsten Tagen kommen hoffentlich trotzdem noch möglichst viele hinzu.
Zwischen dem Finale der Hallen-DM in Dortmund und den WM-Vorläufen liegen keine zwei Wochen. Wie hast du die knappe Zeit genutzt?
Bleistein: Da ich zwischen dem internationalen Rennen in Metz (dort erfüllte er am 11. Februar mit neuer persönlicher Bestzeit die WM-Norm, Anm. d. Red.) und der Hallen-DM nicht zurück nach München gereist bin, war ich wirklich froh wieder zu Hause. Ich habe schnell meinen Rhythmus wiedergefunden und bis zur letzten harten Einheit am Samstag eine Woche gut trainiert. Ich konnte die erfolgreichen vergangenen Wochen verarbeiten und für die DM-Medaille einen schönen Platz an der Wand aussuchen. Jetzt richtet sich mein Blick nach vorne. Die Vorfreude ist groß und ich spüre eine Menge positiver Energie.
Die 3000-Meter-Vorläufe finden bereits am Freitag statt. Bei der jüngsten Hallen-WM in Portland vor zwei Jahren gingen die Vorlaufsiege mit 7:51er-Zeiten weg, der letzte Läufer qualifizierte sich mit einer mittleren 7:53er-Zeit für Endlauf – wenig Spielraum also. Rechnest du damit, gleich im Bereich deiner Bestleistung einsteigen zu müssen, um das Finale zu erreichen?
Bleistein: Der Vorlauf ist mein Finale. Da werde ich mich nicht zurückhalten oder schonen. Es wird mir alles abverlangt werden, denn man kann sich auch über die Zeit fürs Finale qualifizieren. Oft wird im Finale dann etwas taktischer gelaufen als in den Vorläufen. Da ich es in den vergangenen Wochen immer geschafft habe, meine Leistung auf den Punkt abzurufen, spricht alles dafür, dass es mir auch in Birmingham gelingt.
Gegen die besten Läufer Europas bist du 2015 schon angetreten. Nun triffst du auf die Besten der Welt. Was ändert sich dadurch für dich?
Bleistein: Eigentlich ändert sich gar nicht so viel. Auch 2015 waren einige gebürtige Kenianer im Feld, unter anderem der spätere Sieger Ali Kaya, der für die Türkei startet. Das Niveau wird etwas höher sein, meine Einstellung beeinflusst das aber nicht. Ich möchte mich teuer verkaufen und es mit ein bisschen Glück in der Laufeinteilung und einem starken Finish ins Finale schaffen.
Beeindruckt es dich, dass an der Spitze der Weltrangliste derzeit gleich drei Äthiopier stehen und die Bestzeit von 7:36,64 Minuten ausgerechnet der gerade 18-jährige Selemon Barega vorgelegt hat?
Bleistein: Natürlich sind diese Zeiten nochmal eine andere Liga. Aber sie sind in Rennen mit Tempomachern gelaufen worden. Die gibt es bei einer WM nicht. Das kommt mir eher entgegen, denn man muss sehr wach sein, auf Körper und Gefühl achten und nicht stumpf einem Tempomacher hinterher rennen.
Welche der 15 Hallenrunden eines Rennens fallen dir eher leicht und in welcher Phase fragst du dich, warum du dir das überhaupt antust?
Bleistein: Eine erste harte Phase habe ich meist kurz vor der Hälfte. Ab dann beginne ich runterzuzählen. Und dann geht es schnell. Eine Runde dauert in der Halle ja nur etwas über 30 Sekunden. An guten Tagen ist das Ziel drei Runden vor Schluss greifbar, was mir nochmal einen Schub gibt. Die Glocke zur letzten Runde ist schon wie eine Befreiung: Ich muss nichts mehr zurückhalten.
In der Arena Birmingham erwartet dich ein versiertes und begeistertes Publikum. Birmingham ist sowohl die Heimat der Leichtathletik in Großbritannien als auch ein beliebter Veranstaltungsort für hochkarätige internationale Leichtathletik-Wettbewerbe. Wie du vorhin beschrieben hast, ist man als Langstreckenläufer auf deinem Niveau größtenteils allein und in ruhiger Umgebung unterwegs. Ist das nicht vollkommen irritierend, wenn um dich herum plötzlich das Publikum tobt?
Bleistein: Mich motiviert es eher. Ich freue mich wirklich riesig drauf, denn die Briten sind besonders leichtathletikaffin, was man im vergangenen Jahr auch bei der WM in London gesehen hat. Daher würde ich im Vorlauf sogar gerne gegen einen Briten laufen, denn dann wird die Stimmung super sein.
An Sommer ist in München in diesen Tagen zwar nicht zu denken, dennoch: Wie geht nach Birmingham mit Blick auf den Sommer mit der Heim-EM in Berlin weiter?
Bleistein: Nach Birmingham werde ich eine Woche Pause einlegen. Über Ostern geht es dann ins Trainingslager nach Holland. Mein Ziel ist, schon im Mai oder Juni die EM-Norm über 5000 Meter zu laufen. Bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg möchte ich wieder eine Medaille gewinnen. Das wird ein hartes Stück Arbeit. Die nationale Konkurrenz ist groß.
Der Zeitplan des 3000-Meter-Wettbewerbs der Männer in Birmingham:
Freitag, 2. März, 13:50 Uhr (deutscher Zeit), Vorläufe
Sonntag, 4. März, 16:35 Uhr (deutscher Zeit), Finale