Goldmedaillengewinnerin Birgit Kober über Joachim Lipske: "Ich habe ihm so viel zu verdanken"
Der ganze Schmerz, das ganz Leid - für Sekunden war alles vergessen. Als Speerwerferin Birgit Kober vor ihrem letzten Versuch in Großaufnahme auf dem Bildschirm des Londoner Olympiastadions erschien, brachen 80 000 Zuschauer bereits erwartungsfroh in Jubel aus.
Und dann krönte die 41-Jährige ihren Triumph bei den Paralympics tatsächlich mit einem Weltrekord. Den nächsten großen Wurf will Birgit Kober, die seit 2007 nach einem verhängnisvollen Krankenhausaufenthalt im Rollstuhl sitzt, im Oktober landen. Dann kommt ihr Fall endlich vor Gericht.
"Mir geht es nicht ums Geld. Ich möchte einfach nur ein bisschen Gerechtigkeit. Man hat mir mein Leben genommen", sagte Birgit Kober, die sich wegen ihrer Epilepsie in einer Münchner Klinik befand. "Während eines Intensivstationsaufenthaltes wurde mir - aufgrund eines Schreibfehlers - eine massiv toxische Dosis eines Medikaments per Infusion verabreicht", schilderte sie ihr Schicksal.
Seit dem Vorfall lebt Birgit Kober mit einer Ataxie, die medizinische Umschreibung für Bewegungs- und Koordinationsstörungen. Ihr Pädagogikstudium musste sie abbrechen, derzeit lebt sie von staatlicher Unterstützung. Neuen Lebensmut schöpfte Birgit Kober aus dem Leistungssport. "Der Sport hilft mir, gegen meine Limits zu kämpfen und ist ein starker Partner im Kampf gegen meine Behinderung. Sport ist der Motor meines Lebens. Er hat mir zurück ins Leben geholfen. Werfen macht mich einfach glücklich", sagte Birgit Kober, die 2008 von der neunmaligen Paralympics-Siegerin Marianne Buggenhagen - im Alter von 59 Jahren in London Silbermedaillengewinnerin im Kugelstoßen - inspiriert wurde und mit dem Speerwerfen begann.
In München keinen Verein gefunden
Weil sie in ihrer Heimat München keinen Verein fand, schloss sie sich dem TSV Bayer 04 Leverkusen an. Ihr Trainingsmittelpunkt ist aber der Olympiastützpunkt in der bayerischen Landeshauptstadt - oder eine Wiese in Neuperlach. "Das ist ein echter Brennpunkt. Aber einen großen Vorteil hat dieser Stadtteil, hier lässt jeder jeden leben. Und darum stört es auch keinen, wenn ich mit dem Speer werfe", sagte Birgit Kober. Als Wurfhocker nutzt sie dann zwei Bierkisten, die sie mit Kabelbindern vertaut hat.
Große Unterstützung bei der Verfolgung ihrer sportlichen Ziele und darüber hinaus erfährt sie durch ihren Trainer Joachim Lipske, der hauptamtlich als Hammerwurf-Bundestrainer für den Nac hwuchs und Teamleiter Wurf im Bayerischen Leichtathletik-Verband (BLV) fungiert. "Ihm habe ich so viel zu verdanken", sagte Birgit Kober. Er habe sie sportlich, menschlich und im Kampf gegen die Ataxie extrem weitergebracht.
Dank per Leistung
Diesen Einsatz dankte ihm Birgit Kober mit Leistung. Bei der WM 2011 in Christchurch (Neuseeland) holte sie jeweils mit Weltrekord Gold mit dem Speer und im Kugelstoßen. Diesen Doppelsieg wiederholte sie bei der EM 2012 im niederländischen Stadskanaal. Doch den größten Triumph fuhr Birgit Kober am Montagabend ein, als sie - bereits als Siegerin feststehend - mit dem letzten Wurf ihren eigenen Weltrekord von 25,99 auf 27,03 Meter steigerte. "Das ist so viel größer als man selbst", sagte Birgit Kober, die am Dienstag bei der Siegerehrung von ihrer Landsmännin Marie Brämer-Skowronek begleitet wurde. Die 21-Jährige aus Haldensleben hatte mit 20,43 Metern den zweiten Platz belegt.
Beide gehen am Donnerstag im Kugelstoßen erneut an den Start. "Dann will ich noch einmal voll angreifen", sagte Birigt Kober, ehe im Oktober der nächste Kampf ansteht - dann geht es aber nicht Gold, sondern um Gerechtigkeit.