Caster Semenya (Dritte von links) auf den Fersen von Miriam Dattke // Die Bühne gebührt am Schluss der jungen Regensburgerin // Auch für Caster Semenya gab es fairen Applaus // Die deutsche Mixed-Staffel, hier mit Corinna Schwab und Ruth-Sophie Spelmeyer-Preuß, lief Jahresweltbestleistung // Bei seinem letzten Rennen machte Benedikt Huber (rechts) noch einmal die Pace für den späteren Sieger Nick Jäger (Mitte) // Simon Batz // Vincente Graiani // Karla Hiss // Luca Haller // Lia-Soline Gerich (rechts). Fotos: Theo Kiefner, Claus Habermann

22.06.2021 10:41 // Von: Reinhard Köchl

Laufnacht Regensburg: Miriam Dattke stiehlt Caster Semenya die Schau

Es war ein Sportfest für Jedermann und -frau - genau so, wie es sich die Ausrichter der LG Telis Finanz Regensburg gewünscht hatten. Sprint- und Laufwettbewerbe bis hinunter zur Altersklasse 14 und dazu echten Spitzensport mit einem Weltstar, einer Weltjahtresbestleistung und nationalen, oder besser sogar: lokalen Helden. Die schon traditionelle Laufnacht - diesmal wieder im Städtischen Stadion am Weinweg - spülte den Regensburgern in Gestalt der Südafrikanerin Caster Semenya eine leibhaftige zweifache Olympiasiegerin, eine grandiose Miriam Dattke und eine Weltjahresbestleistung der bundesdeutschen 4 x 400-Meter-Mixed-Staffel bei tropisch schwülen Temperaturen ins Haus.

Auf den Höhepunkt der Laufnacht mussten die zahlreichen Zuschauer - immerhin sind im Gegensatz zu DLV-Meisterschaften in Bayern wieder bis zu 500 erlaubt - bis 21.20 Uhr warten. Dann kam sie tatsächlich: Caster Semenya, zweifache Olympiasiegerin und Weltmeisterin über 800 Meter, wegen ihres ihres Dauerstreit mit dem Internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) über die vermeintlich leistungssteigernde Wirkung ihres Testosteronspiegels dauerhaft in den Schlagzeilen. Denn Semenya gilt als intersexuell, das heißt, sie besitzt überwiegend das Geschlechtschromosom XY und nicht XX, was zu ungewöhnlich hohen Testosteronwerten führt. Das Urteil des Internationale Sportgerichtshofes (Cas) ist bis heute umstritten: Die Weltklasseläuferin darf bei internationalen Wettkämpfen nicht mehr über Distanzen zwischen 400 m und einer Meile antreten, wenn sie zuvor nicht ihren Testosterongrenzwert sechs Monate lang medikamentös unter fünf Nanomol pro Liter Blut gesenkt hat. Diese Regel erachtet Caster Semenya als diskriminierend und lehnt sie rigoros ab.

 

Mit inzwischen 30 Jahren versucht Semenya inzwischen, die Olympianorm überr 5000 Meter zu ergattern - bislang vergeblich. Dass sie in Regensburg einen weiteren Versuch auf europäischem Boden startete, überraschte nicht nur Meeting-Direktor Kurt Ring. "Wir sind zu Caster Semenya gekommen wie dieJungfrau zum Kind!" Es habe keine finanziellen Forderung gegeben, die Südakfrikanerin brachte sogar ihre eigenen Tempomacherinnen mit. Doch bei den drückenden Temperaturen von immer noch über 30 Grad half dies alles nichts. Lokalmatadorin Miriam Dattke (LG Telis Finanz Regensburg) stand nach ihrem überzeugenden Auftritt über 5000 Meter im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und setzte einen gelungenen Schlusspunkt unter die Lange Laufnacht von Regensburg.

 

Bei noch warmen, aber deutlich angenehmeren Temperaturen als am Nachmittag, fiel am Abend der Startschuss über 5000 Meter der Frauen. Es war das letzte Rennen der Veranstaltung, das mit großer Spannung erwartet wurde. Denn sowohl Caster Semenya hatte sich für einen Angriff auf die Olympia-Norm (15:10,00 Minuten) angekündigt als auch kurzfristig die Deutsche Vizemeisterin Miriam Dattke, die sich aufgrund der Wettervorhersage gegen die ursprünglich geplanten 10 000 Meter entschieden hatte. Nach einigen Runden im Windschatten einer Tempomacherin wurde auf der Sportanlage am Weinweg schnell deutlich, dass der Richtwert für Tokio außer Reichweite bleiben würde. Und zugleich, dass Miriam Dattke trotz der Vorbereitung auf die doppelt so lange Distanz die besten Beine für ein schnelles Rennen mitgebracht hatte. Zunächst reihte sich das Feld einschließlich Caster Semenya noch hinter der Lokalmatadorin auf, dann konnte sie sich gemeinsam mit ihrer Tempomacherin doch recht deutlich absetzen.

 

Etwas überraschend war es die Saarländerin Sara Benfares (LC Rehlingen), 20 Jahre jung, die das hohe Tempo noch am besten mitgehen konnte, gegen Ende des Rennens sogar zeitweise Boden gutmachte und am Ende als Zweitplatzierte in 15:40,97 Minuten eine neue Bestzeit feierte. Vorne beeindruckte Miriam Dattke mit einem konstant schnellen Rennen, das sie in 15:34,92 Minuten – der zweitschnellsten Zeit ihrer Karriere, nur sechs Sekunden über Bestzeit – als Siegerin nach Hause brachte.

 

Caster Semenya drehte mit deutlichem Abstand ihre Runden und kam nach 15:57,12 Minuten noch hinter der drittplatzierten Kenianerin Agnes Mumbua Ngolo (15:48,15 Minuten) als Vierte ins Ziel. An ihre Fersen hatte sich lange die DM-Dritte Denise Krebs (TSV Bayer 04 Leverkusen) geheftet, die in 16:06,04 Minuten Fünfte wurde.

 

Ebenfalls fest in Regensburger Hand war der Wettbewerb über 5.000 Meter der Männer. Hier setzte sich der längst auf die längeren Strecken spezialisierte Simon Boch – im Marathon als Ersatzläufer für die Olympischen Spiele nominiert – in 13:51,11 Minuten vor Fabian Clarkson (SCC Berlin; 14:02,94 min) und dem Wiener U20-Läufer Sebastian Frey (14:04,55 Minuten) durch. Nur sechs Sekunden über der 14-Minuten-Marke blieb Konstantin Wedel, der in der Verfolgergruppe zu einer neuen Bestzeit von 14:06,98 Minuten und Rang fünf lief, dicht gefolgt von Filmon Abraham (LG Festina Rupertiwinkel; 14:07,21 Minuten). Tim Ramdane Cherif (LG Telis Finanz Regensburg) kam als Siebter auf 14:23,34 Minuten.

 

Das 800 Meter-Rennen der Männer wurde zwar nicht ganz so schnell wie erhofft, dafür aber umso spannender. Es war der Deutsche Meister Marvin Heinrich (Eintracht Frankfurt), der das Tempo der Tempomacher am besten aufnahm und als Führender auf die Zielgerade einbog. Am Ende kam die Konkurrenz noch einmal stark auf, aber er brachte seinen Vorsprung nach 1:46,70 Minuten als Erster ins Ziel. Dahinter folgten zeitgleich die Äthiopier Girma Ermias Shire und Daniel Wolde Shirpa (1:46,98 Minuten). Der Australier Samuel Blake, zwischen für die LAG Mittlere Isar startend, kam in für ihn hervorragenden 1:47,85 Minuten auf Rang fünf ein. Die1500 Meter wurden eine rein bayerische Angelegenheit mit Nick Jäger (TSV penzberg) als Sieger in 3:51,45 Minuten vor Hiob Gebisso (TG Viktoria Augsburg) in 3:53,68 Minuten und einem, der tatsächlich zum allerletzten Mal die Spikes anzog, obwohl der seine Karriere offiziell schon beendet hatte: Benedikt Huber (LG Telis Finanz Regensburg) hält sich weiter fit und schaffte als Dritter noch einmal beachtliche 3:54,07 Minuten vor seinem Klubkollegen Keyhan Hatami (LG Telis Finanz Regensburg; 3:54,31 Minuten).

 

4 x 400 Meter-Mixed-Staffel löst das Olympiaticket

 

Bei den World Athletics Relays in Chorzów (Polen) war die Enttäuschung nach dem verpassten Finale und der verpassten direkten Olympia-Qualifikation noch groß. Doch schon dort hatten die Bundestrainer Plan B in der Tasche. Und der scheint am Samstag bei der Laufnacht aufgegangen zu sein: Marvin Schlegel (LAC Erdgas Chemnitz), Manuel Sanders (LG Olympia Dortmund), Ruth-Sophia Spelmeyer-Preuß (VfL Oldenburg) und Corinna Schwab  (LAC Erdgas Chemnitz) haben sich über 4 x 400 Meter Mixed auf 3:13,57 Minuten gesteigert.

 

Das Quartett blieb damit mehr als drei Sekunden unter der bisherigen deutschen Bestmarke von 3:16,85 Minuten, mit der eine DLV-Staffel 2019 in das Finale der World Athletics Relays in Yokohama (Japan) eingezogen war. Ob die Leistung auch als deutscher Rekord anerkannt werden kann, werden die üblichen Ratifzierungsprozesse zeigen. Viel wichtiger jedoch: Die deutsche Staffel machte damit in der Rangfolge der internationalen Olympia-Qualifikationsplätze einen wichtigen Schritt nach vorne, von Platz 19 vor auf den 14. Rang. 13 Nationalstaffeln sind bereits direkt für Tokio qualifiziert, drei weitere Plätze werden über die Zeit vergeben – und die DLV-Auswahl belegt nun den ersten davon.

 

"Die Staffel ist fantastisch gelaufen, das hat hervorragend funktioniert", freute sich Männer-Bundestrainer Edgar Eisenkolb. "In 2021 ist das jetzt die schnellste Zeit der Welt." Zu der auch ein Taktikwechsel beigetragen hat, denn anstelle der in internationalen Rennen üblichen Reihenfolge Mann–Frau–Frau–Mann lief die DLV-Staffel mit den beiden Männern zuerst und den Frauen zum Schluss, um Wechselprobleme zu minimieren. "Wir gehen davon aus, dass diese Zeit weltweit in der letzten Woche des Nominierungszeitraums niemand mehr verbessern wird. Das war hier in Regensburg ein ganz wichtiges Zeichen, dass wir auch mit der Männerstaffel dazu in der Lage sind, die Qualifikationszeit zu knacken", sagte Edgar Eisenkolb. Denn in der zweiten DLV-Staffel (3:18,22 Minuten), die zwei Quartette aus Tschechien hinter sich ließ, hatte am Samstag auch Jean Paul Bredau (SC Potsdam) als Startläufer nur eine Zehntel hinter dem Deutschen Meister Marvin Schlegel einen glänzenden Eindruck hinterlassen.

 

Starker bayerischer Nachwuchs

 

Bei den bayerischen Nachwuchstalenten fielen bei der Laufnacht vor allem die U 18-Nachwuchstalente Maximilian Achhammer (TSV 1880 Schwandorf), der trotz -1,6m/s Gegenwind die 200 Meter ebenso mit DM-Norm gewann, wie Luca Haller (LG Stadtwerke München) die 400 Meter in neuem Hausrekord von 50,66 Sekunden. Weitere starke Sprintzeiten gab es von U 20-Doppelsieger Sascha Babel (LG Forchheim) über 100 in 10,83 beziehungsweise über 200 Meter in 22,20 Sekunden Sekunden. Finn Hösch (LG Stadtwerke München) belegte über 1500 Meter in der U 20 Rang drei (4:03,32 Minuten). In der Männerklasse gab es bayerische Siege durch Vincente Graiani (LG Stadtwerke München) über 200 Meter (21,85 Sekunden) und Christopher Löffelmann (LG Erlangen) über 400 Meter (48,09 Sekunden).

 

Herausragend in der W 14-Klasse war der 800-Meter-Triumph von Liah-Soline Gerich (TSV 1862 Neuburg) in 2:17,96 Minuten, während sich Sonja Blöchl (LAZ Kreis Günzburg) über 400 Meter als Fünfte in der U 18 auf 57,69 Sekunden verbesserte und stehenden Fußes eine Einladung für die zweite DLV-Jugend-Staffel tags darauf in der Sparkassen-Gala erhielt. Ebenfalls einen nachhaltigen Eindruck hinterließen über 800 Meter der U 18 mit einem Doppelsieg Karin Dobiasch (LG Würm Athletik; 2:11,65 Minuten) und Linda Maier (LAC Passau; 2:12,96 Minuten), ebenso wie die starken Bayern-Mädchen über 1500 Meter, wo Karla Hiss (MTV 1862 Pfaffenhofen) in bemerkenswerten 4:33,46 Minuten vor Magdalena Engl (LG Telis Finanz Regensburg; 4;39,86 Minuten) und Linda Eisenreich (LAC Passau; 4;46,92 Minuten) die Nase vorne hatte.

 

Emma Heckel (LG Telis Finanz Regensburg), die schon die U 20-EM und WM-Norm über 5000 Meter in der Tasche hat, versuchte sich in der Laufnacht (unter tags darauf auch in der Sparkassen Gala) auf den schnellen Unterdistanzen - und das erfolgreich. Über 1500 Meter war gegen sie in 4:26,33 Minuten kein Kraut gewachsen. Etwas schneller war da Kerstin Hierscher (LG Telis Finanz Regensburg) als Gesamtzweite bei den Frauen in 4:24,30 Minuten. Über 400 Meter Hürden kam Sophie Ochmann (LG Telis Finanz Regensburg) in 63,68 Sekunden als Zweite über die Ziellinie.

 

Dass es in der Laufnacht auch Weit- und Hochsprung im Portfolio gibt, gehört zu den athletenfreundlichen Besonderheiten dieses Sportfestes. Der frischgebackene bayerische U 20-Rekordhalter Simon Batz (LG Landkreis Kelheim) kam dabei mit nur einem gültigen Versuch auf 7,54 Meter.