Impressionen einer extrem erfolgreichen EM: Miriam Dattke, Domenika Mayer, Christina Hering, Alexandra Burghardt (links), Tobias Potye (links) und Mona Mayer. Alle Fotos: Theo Kiefner

26.08.2022 21:55 // Von: Reinhard Köchl

Bayerns Leichtathleten blicken auf erfolgreichste EM in diesem Jahrtausend zurück

Bisher waren internationale Meisterschaften für bayerische Leichtathletinnen und Leichtathleten zwar erstrebenswerte, aber für das Gros doch ziemlich unerreichbare Ziele. Weniger als eine Handvoll Aktiver schaffte in den zurückliegenden Jahren stets die Qualifikation für Olympische Spiele, Welt- oder Europameisterschaften. Doch in jüngster Vergangenheit hat sich hier eine Menge getan. Den Lohn durften die Sportlerinnen und Sportler jetzt bei den Europameisterschaften "dahoam" im Münchner Olympiastadion einfahren.

Sage und schreibe zwölf Athletinnen und Athleten wurden für die EM-Teilnahme nominiert, alle von ihnen kamen auch zum Einsatz und schafften fast ausnahmslos die Endlauf- oder Endkampfteilnahme. Die Krönung: Miriam Dattke, Domenika Mayer (beide LG Telis Finanz Regensburg) und Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen) holten sogar den Europameistertitel mit der Marathon-Mannschaft und der 4 x 100-Meter-Staffel, Tobias Potye (LG Stadtwerke München) wurde Vizeeuropameister im Hochsprung.

 

Mit ein wenig Glück hätte es sogar noch vier weitere EM-Teilnehmer aus Bayern geben können. Doch der amtierende Deutsche Hallenmeister im Kugelstoßen, Christian Zimmermann (Kirchheimer SC) wartete vergeblich auf seine Nominierung als Nachrücker, weil der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) David Storl leider zu spät abgemeldet hatte. Ebenfalls wenig Glück mit dem Punkteranking hatten der Deutsche Hammerwurfmeister Merlin Hummel (UAC Kulmbach) als erster Nachrücker sowie Hammerwurfkollege Tristan Schwandke (TV Hindelang), der noch bei der EM in Eugene am Start gewesen war. Auch Hürdensprinterin Isabel Mayer (LG Telis Finanz Regensburg) hatte bis zuletzt auf eine Nominierung als Nachrückerin gehofft.

 

Doch auch die zwölf berufenen Sportlerinnen und Sportlern vertraten die bayerischen Interessen herausragend. Bereits am ersten Tag der Titelkämpfe überraschten Miriam Dattke und Domenika Mayer alle europäischen Konkurrentinnen mit einem beherzten Rennen auf der Marathon-Distanz. Dattke verlor erst im Fotofinish eine Einzelmedaille und landete auf einen bravourösen Rang vier, Mayer schaffte einen nie für möglich gehaltenen sechsten Rang. Als beste deutsche Läuferinnen führten beide das DLV-Team auf den Goldrang. Dass mit Konstantin Wedel und Simon Boch (beide LG Telis Finanz Regensburg) auch noch zwei Männer aus der Regensburger Lauf-Kaderschmiede bei den Männern den Vize-EM-Titel im Team einheimsen konnten, unterstreicht einmal mehr die Ausnahmestellung der Läuferinnen und Läufer aus der Domstadt im Freistaat und inzwischen auch in ganz Deutschland.

 

Hinter Sprinterin Alexandra Burghardt liegt das Jahr ihres Lebens. Zunächst die Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen in Tokio, dann die Silbermedaille als Bob-Anschieberin bei den Olympischen Winterspielen in Peking, Staffel-Bronze bei der WM in Eugene und nun der Europameistertitel über 4 x 100 Meter als fulminanter Schlusspunkt von Europameisterschaften, die viele an die sagenhaften Olympischen Spiele 1972 in München erinnerten. Dabei war die Leistungssportlerin Burghardt 2020 eigentlich schon aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Verletzungen hatten die 28-jährige Oberbayerin immer wieder aus der Bahn geworfen, die Rückkehr von der MTG Mannheim nach Bayern nahm kaum jemand zur Kenntnis. Bis Burghardts Stern mit dem zweimaligen Gewinn bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig plötzlich wieder zu leuchten begann. Der Rest ist ein Happyend, das auch noch Rang acht im Finale über 200 Meter in sich barg und noch längst nicht zu Ende scheint.

 

Auch für Hochspringer Tobias Potye endete mit dem Gewinn der Silbermedaille bei der Münchner EM ein langer Leidensweg. Schon 2013 nach dem Gewinn der U 20-Europameisterschaft im italienischen Rieti galt er nach übersprungenen 2,23 Meter als der kommende Mann in dieser Disziplin. Doch Verletzungen an Sehnen und Bändern verhinderten den kometenhaften Aufstieg, so dass er erst neun Jahre später im vergangenen Juni im Berliner Olympiastadion zum ersten Mal 2,30 Meter überspringen konnte. Nun also Platz zwei hinter Olympiasieger Gianmarco Tamberi (Italien) und die  Kampfansage, dass die Zeit reif sei, "den Tamberi mal zu schlagen". Rosige Aussichten.

 

Wenn bei der DM in Berlin jemand Mona Mayer (LG Telis Finanz Regensburg) vorhergesagt hätte, sie würde in München in der deutschen 4 x 400-Meter-Staffel im Endlauf stehen und dort sogar einer tragende Rolle spielen - die 20-Jährige hätte ihn wohl für verrückt erklärt. Nachdem sie bei den Deutschen Meisterschaften, noch an den Spätfolgen einer Corona-Erkrankung leidend, sang- und klanglos im Vorlauf ausgeschieden war, schien die Saison eigentlich beendet. Doch über eine überzeugende Vorstellung als Deutsche U 23-Meisterin in Wattenscheid rückte sie Ende Juli auf einmal wieder ins Blickfeld des Bundestrainers. Mona Mayer, die in München lebt, trainiert und studiert, bestand alle Tests mit Bravour und lieferte im Finale über 4 x 400 Meter, wo die deutsche Staffel mit 3:26,09 Minuten einen kaum für möglich gehaltenen fünften Platz belegte, mit 51,4 Sekunden die zweitbeste Zeit aller deutschen Frauen ab.

 

Zum ersten Mal hatte Christina Hering (LG Stadtwerke München) in ihrer Heimatstadt München das Finale einer internationalen Meisterschaft erreicht. Dass es schlussendlich "nur" zu Rang sieben in 2:00,82 Minuten wurde, ärgerte sie anfangs noch ein bisschen. Aber mit etwas Abstand konnte auch sie stolz auf ihre Leistung sein, ebenso wie ihre Trainingskameradin Katharina Trost (LG Stadtwerke München), die über 1500 Meter ebenfalls den Endlauf erreicht und hier Zehnte wurde (4:06,95 Minuten).

 

Nicht vergessen werden sollte auch die Vorstellung von Niklas Buchholz (LSC Höchstadt/Aisch) über 3000 Meter Hindernis. Über die Punkteliste kam Buchholz nach München, und das, obwohl er zuvor noch nie das Nationaltrikot am Leib trug. Sein Debüt hätte erfolgreicher nicht sein können. Im Vorlauf nahm der Höchstädter sein Herz in beide Hände und schaffte völlig überraschend den Finaleinzug, wo er dann einen sehr guten 14. Rang belegte. Ebenfalls alles andere als eine Enttäuschung lieferte Filimon Abraham (LG Telis Finanz Regensburg) ab, der über 10 000 Meter, obwohl gesundheitlich etwas angeschlagen, Platz 19 belegte. In der Weitsprung-Qualifikation hatte Maximilian Entholzner (LAC Passau) mit drei weiten, aber knapp übergetretenen Sprüngen Pech. Nichtsdestotrotz haben all diese Sportlerinnen und Sportler zur besten bayerischen Bilanz bei internationalen Meisterschaften in diesem Jahrtausend beigetragen.