Tobias Giehl bei seinem Vorlauf in Helsinki. Foto: Kiefner

06.07.2012 14:01 // Von: Münchner Merkur

Tobias Giehl: "Mein Traum ist Olympia 2016 in Rio"

In einem Interview mit dem „Münchner Merkur“ erzählt Tobias Giehl (LG Würm Athletik), der Deutsche Vizemeister über 400 Meter Hürden, über sein großes Ziel, die Olympischen Spiele in Rio 2016, und die kleinen Tücken im Leben eines Leichtathleten. Hier das Gespräch im Wortlaut.

Tobias Giehl ist der Vorzeige-Leichtathlet im Landkreis Starnberg. Der 20-jährige Gilchinger, der im Olympiadorf in München wohnt, war nach seinem zweiten Platz bei den Deutschen Meisterschaften auch für die EM in Helsinki sehr zuversichtlich, musste sich aber im Halbfinallauf knapp geschlagen geben. Dennoch ist der Würmathlet über die 400 Meter Hürden eine der deutschen Hoffnungen für die Zukunft. Neben dem Leistungssport studiert Tobias Giehl Umweltingenieurwesen an der TU München, auch wenn Training und Studium nicht immer leicht zu vereinbaren sind.

Zurück aus Helsinki, wie bewerten Sie Ihre Leistung bei der EM?

Giehl: Eher mittelmäßg. Mit dem Vorlauf bin ich sehr zufrieden, weil es immer sehr schwer ist, in so einen Wettkampf reinzukommen. Man weiß ja nicht, wie stark sind die Gegner, wie ist die Form der anderen. Da ist man schon ein bisschen nervös. Aber nach dem Halbfinallauf bin ich schon enttäuscht, dass es weder mit dem Finale noch mit der Zeit hingehauen hat.

Hatten Sie nach demguten Vorlauf mit dem Finaleinzuggerechnet odersogar damit, die Olympianormzu erfüllen?

Giehl: Also den Finaleinzug hatte ich schon fest eingeplant. Eine Norm ist schwer zu planen, da man auf die äußeren Umstände keinen Einfluss hat.

Woran lag es, dass esam Ende nicht gereichthat?

Giehl: Ich hatte beim Halbfinallauf ein Rhythmusproblem. Normalerweise laufe ich bis zur siebten Hürde einen 13er-Rhythmus und stelle dann auf einen 14er um. Diesmal habe ich den Rhythmus einfach nicht finden können und bin dann schon eine Hürde früher auf den 14er umgestiegen. Am Ende hatte ich eigentlich auch noch Kraft, konnte aber meine Leistung einfach nicht umsetzen.

Hat die kurzfristige Berufungzur EM eine Rollegespielt? Sie sind ja erstnachträglich für den Kadernominiert worden?

Giehl: Die Nominierung an sich war jetzt keine Überraschung für mich, weil ich nach dem zweiten Platz bei den Deutschen Meisterschaften eigentlich fest davon ausgegangen bin, dass ich mit zur EM fahre. Hart waren die drei Tage nach den Deutschen Meisterschaften. Da war ich wie in einem psychischen Loch aufgrund der Nicht-Nominierung und konnte mich auch gar nicht über den zweiten Platz freuen. Da musste ich mich auch extrem zusammenreißen, um anständig weitertrainieren zu können.

Wäre ohne die Rhythmusproblemedie Olympianormmöglich gewesen?

Giehl: Ich glaube, das wäre sehr schwer geworden. Die Bahn in Helsinki war nicht optimal, das hat man auch an den Zeiten im Finale oder bei den 400-Meter-Läufern gesehen. Von der Beschaffenheit her war sie perfekt, aber die Geometrie war nicht so gut. Das ist für den Laien nicht so leicht zu verstehen, aber man kann sich das vorstellen wie eine Ecke beim Kurveneingang, sodass man nicht kontinuierlich um die Kurve läuft, sondern es plötzlich nach der Hürde auf die Gerade geht, wie wenn man – extrem ausgedrückt – um die Ecke biegt. Dennoch glaube ich, dass gerade im Finale alles möglich gewesen wäre und ich meine persönliche Bestleistung von 49,75 Sekunden hätte unterbieten können.

Auf Ihrer Facebookseitehatten Sie viele Unterstützer und im ZDF-Interviewmit Norbert Könighatten Sie erwähnt, dassauch zahlreiche SMS geschicktwurden. Ist die Anspannungbeim Start dannnicht besonders groß,wenn man weiß, in derHeimat sehen einem allezu?

Giehl: Am Tag davor war ich dadurch schon besonders aufgeregt, weil ich wusste, da sitzen jetzt alle vorm Fernseher, sind live dabei und sprechen dich danach darauf an. Aber ab dem Einlaufen sind diese Gedanken dann weg. Da bin ich dann absolut im Fokus auf den Wettkampf und denke an solche Dinge überhaupt nicht mehr. Das kann ich dann komplett ausblenden.

Sie sind ja jetzt schonseit einiger Zeit im Leistungssport.Hat sich dadurchetwas in Ihrem Lebengrundlegend verändert?

Giehl: Es war ja bei mir eher ein schleichender Prozess zum Leistungssport als ein plötzlicher Sprung zum Profi, insofern konnte ich mich damit nach und nach vertraut machen. Aber im Vergleich zu vor vier Jahren ist allein mein Verhalten jetzt schon viel professioneller. Früher bin ich noch mit Freunden Beachvolleyball spielen gegangen. Heute, wenn ich gefragt werde, ob ich schnell mit zum Beachen gehe, muss ich mir das von der Belastung und dem Verletzungsrisiko schon genau überlegen.

Sie sind ja auch schonlange in einer festen Beziehung.Leidet die Partnerschaftnicht darunter, wennder eine permanent durchden Sport unterwegs ist?

Giehl: Nein, überhaupt nicht. Also mit Sicherheit sehen wir uns nicht ganz so oft, wie es früher der Fall war, aber insgesamt schadet es der Beziehung nicht. Meine Freundin unterstützt mich in jeglicher Hinsicht, auch weil sie selbst Leichtathletin ist. Sie weiß immer, wann ich Unterstützung brauche, und gibt sie mir dann auch.

Während andere in IhremAlter am WochenendeParty machen, sind Sie aufWettkämpfen oder am Trainieren. Vermissen sie das nicht?

Giehl: Manchmal wäre es natürlich schon cool, wenn ich abends mit meinen Freunden einfach mal weggehen könnte. Aber generell fehlt mir das nicht. Der Sport ist meine große Leidenschaft, und deswegen brauch’ ich das nicht unbedingt. Am Ende einer Saison oder auch in den Wettkampfpausen gönne ich mir allerdings schon immer ein paar Tage, in denen ich voll und ganz vom Sport wegkomme.

Jetzt ist Helsinki vorbei.Wohin geht es alsnächstes und was sind Ihrenächsten Ziele?

Giehl: Der Olympia-Zug ist ja jetzt erstmal abgefahren. Am Freitag starte ich in Bottrop noch mal über 400 Meter Hürden. In drei Wochen sind dann die Junioren-Meisterschaften, und im August ist ein sehr gutes Meeting in Zürich. Da will ich einfach noch mal zeigen, dass ich diese Saison mehr kann und meine persönliche Bestleistung knacken.

Nachdem Deutschlandbei der EM auch in denLauf- und Sprungdisziplinenerfolgreich war, glauben Sie, dass sich die DLV-Sportler auch bei Olympia international durchsetzen können?

Giehl: Auf jeden Fall. Im Stabhochsprung sind wir absolut Spitze aufgestellt, und auch Sebastian Bayer (Goldgewinner im Weitsprung, Anm. d. R.) ist gut dabei. Insgesamt werden wir in den technischen Disziplinen eine Rolle spielen und vielleicht auch im Laufen ein oder zwei Glanzlichter haben. Auch bei den Staffeln ist mit guten Wechseln einiges möglich.

Und selbst? Sehen Siesich in Zukunft auf einerEbene mit den großenSportlern anderer Kontinente?

Giehl: Natürlich ist mein großes Ziel die Olympischen Spiele in Rio 2016. Bis dahin will ich einfach möglichst viel Erfahrungen sammeln und mich stetig weiterentwickeln. Nächstes Jahr sollte die erste Zeit unter 49 Sekunden auf die 400 Meter Hürden möglich sein und die Zeiten sollten konstant um die 49,6 Sekunden liegen. Körperlich habe ich dafür gute Voraussetzungen, und ich werde alles dafür tun, um diese Ziele auch zu erreichen.

Aber sind die Erfolgsaussichtenfür deutscheAthleten, gerade bei Olympia,aufgrund der Dopingproblematiknicht geringer?

Giehl: Ich bin nicht der Meinung, dass man anderen Ländern unterstellen sollte, dass sie mehr dopen als andere. Natürlich sind die Kontrollen und Richtlinien nicht überall so umfangreich wie in Deutschland, aber auch nicht jeder Sportverband hat die finanziellen Mittel, um Doping in solch einem Ausmaß zu kontrollieren. Die USA haben beispielsweise genauso harte Dopingkontrollen und haben dennoch etliche Topathleten, die auch Medaillen gewinnen.

Und bei den deutschenAthleten sind die Leistungenwirklich alle selbst erarbeitet?

Giehl: Man kann das Mögliche nie ausschließen, aber vom Gefühl her würde ich sagen, dass 99 Prozent der deutschen Leichtathleten sauber sind. Gerade auch nach so einem Wettkampf wie in Helsinki, bei dem man die Menschen kennen lernt, weiß man dann auch, wo die Leistungen herkommen.

Wie beeinträchtigen die Dopingkontrollen ihr Privatleben?

Giehl: Also, wir Athleten müssen über das Internet immer angeben, wo wir uns gerade befinden, wo wir trainieren, wo wir schlafen usw. Die Dopingkontrolleure haben Zugriff auf diese Daten und können dann an den angegebenen Orten unangemeldet zum Testen erscheinen. Sollte man dann nicht anwesend sein, muss man innerhalb einer Stunde zum Test kommen, ansonsten gilt das als ein Mistest. Bei drei Mistests folgt dann die Strafe oder Sperre. Ansonsten wird natürlich bei den Wettkämpfen, gerade wenn man an den Endläufen teilnimmt, immer kontrolliert.