Was Ständner stört: "Keine Sippenhaft für russische Sportler in Rio"
Terrorgefahr, Zika-Virus, Doping – was sollen das bloß für Olympische Spiele werden? Sogar Rufe nach Absage des größten Sportfestes der Welt in Rio de Janeiro wurden im Vorfeld laut.
Über eines dieser drei viel diskutierten Probleme, das Doping, kann auch ein Kulmbacher mitreden: Martin Ständner, ehemaliger Hammerwurf-Bundestrainer der Damen, ist ein intimer Kenner der Werferszene. Auch der in Russland, dessen Leichtathletik-Verband nach ständigen Doping-Skandalen von Rio ausgeschlossen wurde. Der 60-jährige Cheftrainer am Wurfstützpunkt in Stadtsteinach pflegt seit Jahren Freundschaften mit osteuropäischen Weltklasseathleten wie dem russischen Hammerwerfer Sergej Litvinov jun. Auch der EM-Bronzemedaillengewinner von 2014 darf nun nicht nach Rio, obwohl er noch nie positiv getestet worden ist. Martin Ständner hat so seine Zweifel, ob die Kollektivstrafe angebracht ist.
Herr Ständner, werden Sie die Olympischen Spiele in Rio noch mit einem guten Gefühl verfolgen? Experten prognostizieren schließlich die dopingverseuchtesten Spiele aller Zeiten, vor allem in der Leichtathletik.
Martin Ständner: Zumindest mit gemischten Gefühlen, denn das Dopingproblem haben wir ja nicht allein in Russland, sondern noch in einer ganzen Reihe anderer Länder. Mich ärgert vor allem, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA oder der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF im Vorfeld der Spiele ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.
Halten Sie den Ausschluss der russischen Leichtathleten für richtig?
Grundsätzlich ist der komplette Ausschluss einzelner Nationalmannschaften eine Möglichkeit. Das hat man ja früher auch bei den bulgarischen Gewichthebern gemacht. Ob es aber auch sinnvoll ist, auch Athleten auszuschließen, die nie positiv bei einer Dopingkontrolle aufgefallen sind, ist eine andere Frage.
Aber ist allein die Tatsache, dass es von vielen russischen Sportlern keinen positiven Test gibt, der Beweis für ihre Sauberkeit? Schließlich sollen zwischen 15. Februar und 29. Mai dieses Jahres 736 geplante Dopingkontrollen in Russland nicht durchgeführt worden sein. Weil die Kontrolleure behindert wurden oder die Athleten unauffindbar waren.
Ich war selbst in Russland und habe das Trainingslager der russischen Leichtathleten in Sotschi besucht. Ich konnte mich frei bewegen. Ich verstehe nicht, warum das nicht auch die Kontrolleure können. Dass die IAAF und WADA nicht in der Lage sind, die Kontrollen durchzuführen, ist der eigentliche Skandal.
Es gibt aber auch Athleten wie meinen Freund Sergej Litvinov, der im Herbst 2014 aus den Doping-Kontroll-Pool der IAAF herausgenommen worden ist. Er hat sich dagegen massiv beschwert, vergeblich. Wie soll so einer beweisen, dass er sauber ist? Sergej Litvinov hat Verständnis dafür, dass in Russland etwas gegen Doping unternommen wird. Aber er hat natürlich kein Verständnis dafür, dass er nicht nach Rio fahren darf.
IOC-Chef Thomas Bach wird gerade in Deutschland heftig dafür kritisiert, dass er nicht alle Russen von den Olympischen Spielen ausgeschlossen hat – womöglich seinem Freund Vladimir Putin zuliebe.
Ich kann Bach nicht dafür verdammen, dass er sich im IOC nicht durchsetzen konnte. Denn innerhalb des IOC gibt es auch viele andere Meinungen, die man akzeptieren sollte. Ich glaube nicht, dass er Putin einen persönlichen Gefallen tun wollte. Aber natürlich muss ein IOC-Chef auch Diplomat sein und gesamtpolitische Zusammenhänge im Blick haben. Man darf nicht vergessen, dass der Sport für Russland sehr wichtig ist. Und gerade der Sport kann ja auch Brücken zwischen Ländern bauen.
Gerade Diskus-Olympiasieger Robert Harting hat Bach hart kritisiert.
Robert Harting wird immer vor Großereignissen laut und fordert jetzt den Generalausschluss aller russischen Athleten. Das ist der gleiche Athlet, der bei Werner Goldmann, einem Trainer des ehemaligen DDR-Staatsdopingssystems, groß geworden ist. Und erst kürzlich ist ein ehemaliger Athlet von Goldmann, Gerd Jacobs, mit 55 Jahren als anerkanntes Doping-Opfer gestorben. Werner Goldmann wird bis heute vom Innenministerium als Bundestrainer bezahlt. Das soll nicht heißen, dass Goldmann seine Athleten heute noch dopt. Aber kein russischer Athlet käme auf die Idee, wegen Goldmanns Vergangenheit einen Ausschluss von Robert Harting von den Olympischen Spielen zu fordern.
Finden Sie es also gut, dass nicht alle russischen Sportler von den Spielen ausgeschlossen worden sind?
Es stört mich, dass wir uns in Deutschland so oberlehrerhaft aufführen. Natürlich darf ein Journalist wie Hajo Seppelt von der ARD Misstände aufdecken, aber es stört mich, dass er sich nur auf Russland eingeschossen hat. Dopingsünder zu entlarven, das ist eigentlich die Aufgabe der WADA und der IAAF. Dass in Sachen Dopingbekämpfung mehr passieren muss, ist natürlich völlig klar.
Der Chefermittler der WADA, Richard McLaren, sagt aber, es gebe Beweise für systematisches staatliches Doping in Russland. In Sotschi bei den Winterspielen sollen sogar positive Dopingproben vom Geheimdienst und der russischen Anti-Doping-Behörde ausgetauscht worden sein. Zweifeln Sie dennoch systematisches Doping in Russland an?
An das von Putin aus kontrollierte systematische Staatsdoping glaube ich nicht. Es ist vielmehr so, dass der Sportminister Mutko Gelder an die einzelnen Regionen verteilt. Die wiederum haben ein autarkes System und können damit machen, was sie wollen. So bekam schon eine Junioren-Olympiasiegerin aus der Region Krasnodar ein schönes Haus hingestellt. So etwas verführt natürlich wieder Trainer und Eltern, Sachen zu machen, die nicht legal sind. Bei durchschnittlich etwa 200 Euro Monatsverdienst in Russland ist die Verlockung natürlich groß. Dass der Geheimdienst am Ende die Hand drauf hält, ist schon möglich. Aber an von oben gesteuertes Doping glaube ich nicht.
Wenn Firmen Kartelle aufdecken, an denen sie selbst beteiligt sind, kommen sie seit ein paar Jahren als Kronzeugen straffrei davon. Wenn Athleten wie Julia Stepanowa über Doping auspacken, werden sie bestraft, indem sie nicht teilnehmen dürfen. Ist das richtig?
Die Frage ist, ob Stepanowa sich geoutet hat, weil sie meint, dass Doping etwas Verkehrtes ist, oder ob sie sich nur an den Leuten rächen wollte, die ihre sportliche Zukunft verbaut haben. Man darf nicht vergessen, dass sie selbst überführte Doping-Sünderin ist. Das Absurde ist, dass man einer glaubt, die des Dopings überführt worden ist, aber Sportlern nicht, die nie überführt worden sind.
Die russische Stabhochspringerin Isenbajewa dreht jetzt den Spieß herum und wirft Deutschland neben den USA und Großbritannien systematisches Doping vor.
Das ist nicht in Ordnung, eine Generalverurteilung. Wenn ich so etwas behaupte, muss ich zumindest ein, zwei Beweise haben.
Sie haben gesagt, dass der Fokus der Doping-Diskussion zu sehr auf Russland liegt. In welchen Ländern ist die Problematik ähnlich hoch?
Man kann nur mutmaßen, aber in Jamaika sind die Sprinter stark unter Verdacht, in Kenia die Läufer-Szene. Und auch in Weißrussland gibt es wohl ein Doping-Problem. Dort habe ich zum Beispiel selbst gesehen, wie ein Trainer seinen Athleten nach dem Training was aus seiner Kaugummischachtel gegeben hat, das sie schlucken mussten.
Der ehemalige Deutsche Meister über 200 Meter, Manfred Ommer, hat provokant gefragt, wer überhaupt den sauberen Athleten wolle. Und der ehemalige Olympiasieger Nils Schumann fordert gar die Freigabe von Doping, weil man es sowieso nicht kontrollieren kann. Ihre Meinung dazu?
Dass man Doping nie hundertprozentig ausschließen kann, glaube ich auch, denn es gibt immer wieder neue, chemisch verschlüsselte Wirkstoffe. Das darf aber nicht dazu führen, dass man den Kampf gegen Doping aufgibt. Ich kann nicht verstehen, dass die Medizin nicht in der Lage ist, den Rückstand zu den Doping-Sündern schneller aufzuholen. So wurden kürzlich erst nach acht Jahren Doping-Sünder entlarvt.
Wie gefährdet das Thema Doping die Nachwuchsarbeit an der Basis?
Gerade die Olympischen Spiele sind etwas Besonderes. Olympia-Teilnehmer sollten ja eigentlich immer ein Vorbild sein. Ich merke es, dass Jugendliche trotz aller Einflüsse wie Handy und Computer immer noch leichtathletikbegeistert sind und zu den Stars aufschauen. Man merkt, dass dopingverseuchte Sportarten wie der Radsport stark an Attraktivität verloren haben. Siehe Tour de France. Früher hat jeder den Träger des Gelben Trikots gekannt, das Fernsehen hat stundenlang übertragen. Heute interessieren sich nur noch die wenigsten. Es wäre schade, wenn die Leichtathletik ebenso an Stellenwert verlieren würde.