EM Helsinki: Jonas Plass und Kamghe Gaba kehren mit Staffel-Bronze nach Bayern heim
Mit insgesamt neun Startern war die Leichtathletik aus dem Freistaat im DLV-Trikor so gut wie lange nicht mehr vertreten. Tobias Giehl (LG Würm Athletik) erreichte über 400 Meter Hürden das Halbfinale, während für David Gollnow (LG Stadtwerke München) die Europameisterschaften wegen eines Fehlstarts im Vorlauf schon zu Ende waren, bevor sie überhaupt begonnen hatten. Philipp Pflieger und Maren Kock (beide LG Regensburg) sammelten über 5000 Meter mit den Plätzen 15 und 17 wertvolle Erfahrungen. Den Vogel ab schossen jedoch die Viertelmeiler am späten Sonntagnachmittag in ihrer Staffel, die nun sogar mit einem Start bei den Olympischen Spielen in London spekulieren darf.Die Männer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes sorgten dabei für Medaille Nummer 16: Sie holten Bronze (3:01,77 Minuten).
Es wurde eng beim letzten Wechsel: Eric Krüger (SC Magdeburg) hatte sich auf Platz zwei vorgeschoben, auf seiner Schlussgeraden kam die Konkurrenz aber auf. Der Wechsel auf Thomas Schneider klappte trotzdem gut und der Dresdner ging für seine Verhältnisse offensiv an und sicherte so Platz drei (3:01,77 Minuten) hinter Belgien (3:01,09 Minuten) und Großbritannien (3:01,56 Minuten). 16 Jahre ist es her, dass eine deutsche Staffel eine EM-Medaille gewonnen hat.
An Position eins hatte Jonas Plass stark begonnen, Kamghe Gaba hatte etwas an Boden verloren. Plass beschrieb den dramatischen Endlauf anschließend so: "ch kann mich über das Rennen nicht beschweren. In der zweiten Kurve habe ich schon gedacht: Oh, das wird schon hart, zum Glück war Kamghe früh genug da. Bei großen Wettkämpfen mache ich mir gar nicht so viele Gedanken. Man läuft los und läuft und läuft und läuft. Bei kleineren Wettkämpfen macht man sich immer viel mehr Gedanken. Ich bin vernünftig angelaufen, habe den Stab weggebracht. Die Jungs haben den Rest gemacht. Die Medaille ist eine Riesenfreude. Aber es ist nur eine Durchgangsstation auf dem Weg nach London. Wir sind jetzt noch einmal zwei Wochen in Südtirol und dann noch einmal knapp zehn Tage in Kienbaum. Dort können wir uns alle noch einmal einen ordentlichen Feinschliff abholen. Wir arbeiten noch an uns. Ich bin recht zuversichtlich. Im Olympiastadion in London kann man sich wahrscheinlich noch mehr pushen und dann ist alles offen. Darauf freue ich mich richtig."
Auch Kamghe Gaba hisst offenbar schon die Segel Richtung London: "Ich wusste, ich muss in der Kurve ordentlich Druck machen. Ich hatte gedacht, dass der Borlee noch vorbei kommt. Ich habe ihn aber erst einmal nicht gesehen, von daher war das optimal. Wenn ich als Zweiter in die Kurve gehe, haben wir schon einmal eine gute Position beim Wechsel. In der zweiten Kurve bin ich noch einmal ein bisschen ins Straucheln gekommen. Es sind immer noch zwei vorbei gekommen, aber das hat immer noch gepasst. Es ist einfach eine saugeile Sache. Wir sind bisher immer Vierte geworden bei Europameisterschaften, deshalb ist es jetzt umso schöner, mit einer Medaille nach Hause fahren zu dürfen. Ich bin überglücklich, dass es endlich mal geklappt hat."
Frauen drücken Daumen
Das Rennen ihrer männlichen Kollegen wollten sich auch die deutschen Frauen nicht entgehen lassen. Nach ihrem Endlauf warteten sie an der Bande, um sie nach Kräften anzufeuern. Grund zufrieden zu sein, hatten sie da schon: Gegenüber dem Vorlauf konnten sich Esther Cremer (TV Wattenscheid 01), Janin Lindenberg (SC Magdeburg), Christiane Klopsch (LG Ovag Friedberg Fauerbach) und Fabienne Kohlmann um dreieinhalb Sekunden steigern.
In 3:27,81 Minuten lief das deutsche Quartett auf Platz fünf - Rückenwind Richtung Olympia, wo für das Finale aber wohl noch ein Steigerung her muss. Gold ging an die Urkaine (3:25,07 Minuten) vor Frankreich (3:25,49 Minuten) und der Tschechischen Republik (3:26,02 Minuten). Fabienne Kohlmann war freilich auch ein wenig enttäuscht: "Zwischendurch habe ich uns schon fast auf dem Podest gesehen. Meine Renneinteilung ist es, ruhig anzugehen und am Ende nochmal richtig Gas zu geben. Der Preis dafür war, dass am Anfang einige vorbei gegangen sind. Ich bin richtig froh, dass ich wieder Fuß fassen konnte. Letztes Jahr um diese Zeit waren meine Leistungen im Keller. Ich wünsche mir sehr, dass wir es zu den Olympischen Spielen schaffen. Wir haben unser Bestes gezeigt, jetzt liegt es nicht mehr in unserer Hand. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ich wieder richtig nach vorne komme. Ich bin auf dem Weg dahin. Es ist aber noch Platz nach oben."
Corinna Harrer wollte weiter nach vorn
Enttäuscht war die beste Deutsche des Jahres Corinna Harrer über den Rennverlauf des 1500-Meter-Finals, ihre Endzeit von 4:10,38 Minuten und Rang neun. Nach zügigen ersten Metern schlug das Feld angeführt von der Russin Kristina Khaleyeva ein mäßiges Tempo an. Corinna Harrer hatte sich vor dem Finale vorgenommen, keine Führungsarbeit zu leisten, doch auf einmal fand sie sich gemeinsam mit der Russin an der Spitze des Feldes wieder. Dicht gedrängt absolvierten die Läuferinnen die erste Rennhälfte.
Zwei Runden vor Schluss ging dann die Türkin Gamze Bulut nach vorn. Auf der letzten Runde zog die spätere Siegerin Asli Capir-Alptekin mit und schließlich unaufhaltbar davon. Den Tempowechsel konnte Corinna Harrer nicht mitgehen. Sie verlor Schritt um Schritt an Boden und wurde schließlich auch von Diana Sujew überholt, die sich für die Schlussrunde noch einige Körner gespart hatte.
"Ich habe mir schon vorgenommen, unter die ersten Fünf zu laufen", sagte Corinna Harrer später. "Ich habe in diesem Jahr 4:04 Minuten stehen, und dann laufe ich hier eine 4:10. Es tut mir ein bisschen leid, zuhause haben alle zugeschaut, Public Viewing. Normalerweise habe ich noch nie versagt, aber heute das erste Mal. Naja, es hilft nichts." Auch ihr Trainer Kurt Ring hatte keine Erklärung: "Es gibt null Gründe dafür. Corinna hatte sich vorher großartig gefühlt. An der Startlinie ist sie fest geworden. Als ein Rudel an ihr vorbeigezogen ist, kam sie nicht mehr ins Laufen. Da muss sie durch. Vielleicht ist diese Erfahrung für London wichtig. Sie schämt sich für dieses Rennen, das ehrt sie. Sie ist keine, die ein zweites Rennen verbockt. Wir machen jetzt ganz normal weiter. Corinna läuft in London in der Diamond League."
Florian Orth im Sturzpech
Aufbauarbeit musste Kurt Ring auch bei seinem zweiten "heißen Eisen im Feuer", Florian Orth, nach dessen 1500-Meter-Endlauf leisten. Bei seinem elften Rang in 3:58,54 Minuten war er gestürzt.
Lange Zeit hielt sich der Deutsche Meister taktisch geschickt mit an der Spitze auf und war damit in Lauerstellung. 200 Meter vor Schluss folgte dann der Schicksalsmoment. Florian Orth und der Österreicher Andreas Vojta gingen zu Boden. Der Rest war für Florian Orth dann nur noch Auslaufen. "Ich habe hinten raus gedacht, ich habe noch was drauf, ich kann jetzt kommen, und dann passiert sowas. So ein Mist. Bei dieser Strecke gehört auch ein bisschen Kampf dazu, aber das war ein bisschen unglücklich", kommentierte Orth sein Missgeschick.
Sein Meisterstück lieferte im Kampf um Gold der Norweger Henrik Ingebrigtsen ab. In 3:46,20 Minuten setzte er sich gegen den Franzosen Florian Cavalho (3:46,33 Minuten) und den Spanier David Bustos (3:46,45 Minuten) durch.