Keiner wusste es: Ungers 10,14 sind Bayerischer Rekord!
Den hielt bislang Christian Haas (LAC Quelle Fürth) mit 10,16 Sekunden, erzielt am 24. Juni 1983 in Bremen. Auch der neue Rekordhalter Tobias Unger, der am kommenden Samstag 31 Jahre alt wird, sprach in einem Interview lediglich vom deutschen 4 x 100 Meter-Rekord, den er und seine Staffelkameraden in absehbarer Zeit angreifen wollen. Der existiert sogar noch länger als die bayerische Bestmarke von Christian Haas, nämlich 28 Jahre. Eine DDR-Auswahlmannschaft stellte ihn 1982 mit 38,29 Sekunden auf.
Haben Sie vor dem Wettkampf in Mannheim mit solch einer Leistungsexplosion gerechnet, wie sie die deutschen Sprinter am Samstag gezeigt haben?
Tobias Unger:
Wir wussten natürlich, dass man auf dieser Bahn bei guten Bedingungen sehr schnell rennen kann. Ich persönlich hatte mir vorgenommen, eine 10,20er-Zeit anzubieten, nachdem ich mich vorher ja an der EM-Norm von 10,30 Sekunden festgebissen hatte.
Nach Ihren 10,18 Sekunden bei 1,8 Metern pro Sekunde Rückenwind aus dem Vorlauf sah es im Finale bei etwas weniger Rückenwind so aus, als ob Sie auf den letzten Metern austrudeln ließen …
Tobias Unger:
… ich wollte kontrolliert laufen, und wenn man am Ende noch richtig locker ist, muss das nicht unbedingt zu einer langsameren Zeit führen. Im Gegenteil: Es kann auch ein Vorteil sein.
Fanden Sie es schade, dass Sie während des WM-Viertelfinales Deutschland gegen Argentinien starten mussten, als ganz Deutschland vor dem Fernseher saß?
Tobias Unger:
Nein, es hat mich sogar noch motiviert, während der Vorbereitungen auf das Rennen zu hören, dass Deutschland 1:0 führt. Die Fußballer verlegen wegen uns ja auch keine Spiele, und jetzt kann ich die Deutschen ja noch zweimal in Südafrika spielen sehen.
Glauben Sie an den vierten WM-Titel für Deutschland?
Tobias Unger:
Wenn eine Mannschaft so dicht an einem Titel ist wie Deutschland jetzt, wird sie kämpfen bis zum Umfallen, und ich glaube fest an ein Endspiel gegen Holland, das Deutschland gewinnen wird.
Wie im vergangenen Jahr, als Sie erst bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm in letzter Minute zur WM in Berlin gerannt sind, haben Sie es wieder einmal geschafft, auf den Punkt topfit zu sein, wenn es zählt. Was ist Ihr Geheimnis?
Tobias Unger:
Da gibt’s kein Geheimnis. Bei meinem Trainer Micky Corucle stimmt einfach die Trainingsmethodik. Außerdem war es im vergangenen Jahr viel schwieriger als jetzt, weil ich damals mit Verletzungen zu kämpfen hatte. Derzeit bin ich topfit.
Sie werden am kommenden Wochenende 31 Jahre alt, aber schneller als jene 10,14 Sekunden am Samstag in Mannheim waren Sie noch nie. Was bedeutet das Alter für einen Sprinter?
Tobias Unger:
Ich brauche wohl mehr Adrenalin als früher, um Höchstleistungen zu bringen. Mittlerweile machen mir Wettkämpfe am meisten Spaß, wenn der Druck am größten ist.
Trotz Ihrer langen Karriere, die vor zehn Jahren in Mannheim so richtig begann, waren Sie noch nie bei Europameisterschaften am Start. Woran liegt das?
Tobias Unger:
Ich war in den EM-Jahren 2002 und 2006 verletzt. Auf München musste ich wegen Problemen an der linken Achillessehne verzichten, einen Start in Göteborg hat dann die rechte Ferse verhindert. Deshalb freue ich mich jetzt auch besonders auf Barcelona.
Was haben Sie sich für die EM vorgenommen?
Tobias Unger:
Ich will besser abschneiden als bei der WM in Berlin, als ich gleich im Vorlauf ausgeschieden bin. Wenn ich konstant 10,20 Sekunden anbieten kann, ist es möglich, bei der EM weit zu kommen. Aber ich weiß natürlich, dass ich über 100 Meter keine Chance habe, Athleten wie Dwain Chambers oder Christophe Lemaitre zu schlagen.
Mit der Staffel sieht das schon anders aus …
Tobias Unger:
… ja klar, da haben wir ja nach dem Wechselfehler bei der WM in Berlin auch etwas gutzumachen. Wir wollen eine Medaille gewinnen, und der deutsche Rekord ist auch mal fällig. In Mannheim haben uns ja trotz durchschnittlicher Wechsel nur 21 Hundertstel zum Rekord gefehlt. Die jetzige deutsche Sprintgeneration ist richtig gut, eine perfekte Mischung aus Erfahrung und jugendlicher Frische. Und wenn uns ein wirklich gutes Staffelrennen gelingt, werden wir den Rekord unterbieten.
Ihr deutscher Rekord über 200 Meter, die 20,20 Sekunden von Wattenscheid, sind mittlerweile auch schon fünf Jahre alt. Haben Sie das Kapitel halbe Stadionrund ganz geschlossen?
Tobias Unger:
Nein, ich plane den nächsten 200-Meter-Start bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig, auch wenn die Physiotherapeuten dabei immer meinen Fußgelenken ganz besondere Aufmerksamkeit schenken müssen.
Was für eine Zeit trauen Sie sich über die halbe Stadionrunde derzeit zu?
Tobias Unger:
Eigentlich will ich mich nicht an Spekulationen beteiligen, wie schnell ich denn sein kann. Aber ich glaube, dass die EM-Norm von 20,65 Sekunden durchaus drin ist. Vielleicht kann ich das ja bei den Deutschen Meisterschaften zeigen. Dass Sebastian Ernst in Mannheim 20,38 Sekunden gerannt ist, motiviert mich zusätzlich. Es zeigt wieder einmal, dass sich die Konzentration auf die 200 Meter auch international auszahlen kann. Die Leistungsdichte dort ist nicht so brutal wie auf den 100 Metern. In der Verfassung von Mannheim traue ich, ihm in Barcelona sogar eine Medaille zu.
Wie hat der Wechsel vom LAZ Salamander Kornwestheim/Ludwigsburg zur LG Stadtwerke München Ihr Leben verändert?
Tobias Unger:
Ziemlich stark. Ich bin meistens ein paar Tage in der Woche in München, um dort zu trainieren. Es ist dem Verein und mir wichtig, in der Halle oder auf dem Trainingsgelände dort Präsenz zu zeigen, wo auch der Nachwuchs trainiert. So werden wir älteren Athleten unserer Vorbildfunktion gerecht. Außerdem ist München eine tolle Stadt und mit Stabhochspringer Fabian Schulze und meinem Sprintkollegen Marius Broening wohne ich dort in einer schwäbischen Leichtathletik-Wohngemeinschaft, in der ich mich sehr wohl fühle.
Aber Sie haben doch schon ein Haus in Kirchheim gebaut …
Tobias Unger:
Da bin ich den Rest der Woche. Ich studiere ja neben dem Sprinten auch noch Sportwissenschaften in Tübingen.
Wie weit sind Sie mit dem Studium?
Tobias Unger:
In drei Semestern dürfte das meiste geschafft sein, die Uni kommt mir sehr entgegen, so dass ich den Hochleistungssport gut mit dem Studium vereinbaren kann.
Und wie lange planen Sie Ihre Sprint-Karriere noch?
Tobias Unger:
Mindestens bis zu den Olympischen Spielen 2012 in London. Allerdings will ich nicht so lange laufen, bis ich eines Tages um einen Platz im 100-Meter-Finale bei Deutschen Meisterschaften bangen muss.