Deutsche Jugendmeisterschaften Heilbronn U 20: Drei Titel, 13 Medaillen und einige Fragezeichen
Die äußeren Umstände stellten Veranstalter, Kampfrichter, Teilnehmer und Trainer vor große Herausforderungen, ist es doch schon Ewigkeiten her, dass Deutsche Jugendmeisterschaften so spät im Jahr stattfanden. Aber auch das strenge Hygienekonzept des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), das im übrigen von allen diszipliniert eingehalten wurde, war ungewohnt: konsequenter Mund-Nasenschutz außerhalb des unmittelbaren Wettkampfgeschehen für alle (lediglich die Sportlerinnen und Sportler durften sich beim Aufwärmen und im Wettkampf frei bewegen), kontrollierter Einlass nach vorheriger Anmeldung, keine Verpflegungsstände und Siegerehrungen sowie Teilnehmerbeschränkungen. Dennoch herrschte die einhellige Meinung, dass die Deutschen Jugendmeisterschaften in Heilbronn "entspannter" abliefen, als die Titelkämpfe der Erwachsenen einen Monat zuvor in Braunschweig, zumal auch mehr Menschen auf die weitläufige Anlage durften und stellenweise sogar so etwas wie der Hauch von Atmosphäre auf der durchaus gut besetzten Tribüne aufkam. Das durchwegs schöne Wetter lieferte zudem perfekte Bedingungen, um auch in der "Late Season" noch einmal richtig gute Leistungen bringen zu können.
Einige Sportlerinnen und Sportler, die 2019 oder im Winter noch Medaillen für den Freistaat geholt hatten, waren jedoch gar nicht erst nicht nach Heilbronn gefahren, einige potenzielle Treppchenkandidaten mussten wegen einer Verletzung schon vorab passen. Insgesamt fiel auf, dass es aus bayerischer Sicht in manchen Fällen eklatante Schwächen gab. So gab es zum Beispiel auf den Sprintstecken im männlichen Bereich der U 20 über 110 Meter Hürden, 400 Meter und 400 Meter Hürden sowie im Stabhochsprung keinen einzigen Starter, ebenso wie über 800 Meter und 2000 Meter Hindernis, im Weit- und Dreisprung sowie im Diskus- und Hammerwurf bei den Mädchen. Die Gründe dafür wurden zum Teil aus früheren U 18er-Jahrgängen "importiert". Auf der anderen Seite wusste setzten alle Disziplingruppe wieder einmal erfreuliche Ausrufezeichen und lieferten so manche angenehme Überraschung.
Auch wenn im Ausnahmejahr 2020 die Regel, nach der die erzielten Länderpunkte in der Addition der U 18- und U 20- Resultate alljährlich für den DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) als Grundlage für die Verteilung diverser Finanzmittel dienen, außer Kraft gesetzt ist, so gilt es, in den kommenden Monaten unbedingt einige Stellschrauben zu justieren um in einem hoffentlich störungsfreieren kommenden Jahr bei der DJM in Rostock möglichst breit und schlagkräftig in allen Disziplingruppen aufgestellt zu sein.
Wurf: Merlin Hummel kratzt an Alexej Mikhailovs deutschem Rekord
Nicht nur aus bayerischer Sicht lieferte Hammerwerfer Merlin Hummel (UAC Kulmbach) die mithin beste Leistung der gesamten Titelkämpfe ab. Seine 79,75 Meter, gleich im ersten Versuch erzielt, stellten alle anderen Leistungen in den Schatten. 80 Meter: Diese magische Marke hat bisher noch kein deutscher U 20-Athlet übertroffen. Am nächsten kam ihr Alexej Mikhailov, der 2015 den deutschen U 20-Rekord auf 79,96 Meter geschraubt hatte. In Heilbronn schleuderte Hummel seinen Hammer nun fast so weit wie der Rekordhalter - 25 Zentimeter fehlen noch bis zur "Schallmauer".
"Ich hatte vorher ein bisschen Zweifel, dass ich mit dem neuen Gewicht klarkomme", erklärte Merlin Hummel, der zuvor viel mit dem 7,26 Kilo schweren Männer-Hammer trainiert hatte und in Braunschweig sogar Deutscher Vizemeister geworden war. "Daher kann ich mich nicht beklagen, das war heute Bestleistung, vor zwei Wochen hatte ich noch einen Wettkampf, bei dem es nicht so gut lief." Dass aus dem deutschen U 20-Rekord nichts wurde, damit haderte er nicht. "Mir ging es heute darum, das Beste rauszuholen und Spaß zu haben", sagte er. Zudem hat er noch in diesem Jahr zwei weitere Chancen, die Marke von Alexej Mikhailov anzugreifen – und noch ein weiteres Jahr in der U 20 vor sich.
Darüberhinaus durften sich noch zwei weitere Werfer aus dem Freistaat über Silber freuen. Der Deutsche Überraschungs-Hallenmeister Joel Akue (LG Stadtwerke München) zeigte sich erneut beim wichtigsten Wettkampf des Jahres topfit und schnappte sich mit 18,38 Meter den zweiten Platz, knapp vor Kevin Reim (WSG Schwarzenberg-Wildenau; 18,38 Meter). Gegen den Titelträger Eric Maihöfer (LG Staufen) war mit seinen 20,17 Meter kein Kraut gewachsen. Speerwerfer Laurenz Waldbauer (TSV Vilsbiburg) lag da mit seinen neuen Hausrekord von 65,84 Meter, die er in Runde sechs erzielte, schon wesentlich knapper hinter Robin Rieß (LG Eintracht Frankfurt; 66,64 Meter). Dennoch freute sich der Niederbayer völlig zu Recht über die Vizemeisterschaft. Paul Pöllmann (SC Eschenbach) belegte mit 58,10 Meter einen guten sechsten Rang.
Ebenfalls zufrieden sein darf Alexander Schaller (LG Stadtwerke München) mit seiner Bronezmedaille im Diskuswerfen, obwohl er mit seiner Bestleistung durchaus ein Wörtchen bei der Titelvergabe hätte mitreden können. Diesmal landete sein weitester Wurf bei 55,85 Meter. Zwei Endkampfteilnehmerinnen gab es im Speerwerfen der weiblichen U 20. Elina Nebl (TSV Plattling) belegte mit 45,76 Meter einen für sie hervorragenden fünften Platz, Sydney Hollering (LG Fichtelgebirge) wurde mit 42,30 Meter Achte. Auf dem siebten Rang sortierte sich Kugelstoßerin Cassandra Bailey (LG Stadtwerke München) mit 12,66 Meter ein.
Lauf: Sarah Friedrich mit bayerischem Rekord, Luk Jäger verdienter Hindernissieger
Die weißblaue Lauf-Bilanz in der U 20 polierten gleich vier Medaillen, davon zwei Mal Gold, kräftig auf. Die eine gab es im Bahngehen,die andere überdie "Böcke". Im Bahngehen über 5000 Meter vergrub Sarah Friedrich (LG Würm Athletik) nach ihrem Zieleinlauf vor Freude erst einmal den Kopf in ihren Händen. Mit 24:23,97 Minuten gewann sie in ihrem ersten 5000-Meter-Wettkampf überhaupt souverän vor Alina Leipe (SC Potsdam; 25:16,37 Minuten) und Lena Riedel (ASV Erfurt; 25:41,64 Minuten) und verbesserte obendrein den 34 Jahre alten bayerischen Rekord in dieser Disziplin. „Durch die Corona-Zeit war die Vorbereitung ganz anders als sonst. Ich wusste nicht, worauf ich mich einlasse und wo die Konkurrenz steht. Daher habe ich mich sehr gefreut, dass alles so aufgegangen ist“, sagte die stolze Deutsche Meisterin im Livestream-Interview auf leichtathletik.de.
Im Wettbewerb über 2000 Meter Hindernis dagegen war es ein Trio, das bis 150 Meter vor Schluss um die Medaillen kämpfte. Florian Zittel (LG Region Karlsruhe; 5:56,82 Minuten) schien die besten Karten zu haben – doch dann kam der letzte Wassergraben und er stürzte kopfüber ins Wasser. Die anschließende Aufholjagd brachte ihn nur vor bis auf Platz zwei. Von diesem Missgeschick profitierte Luk Jäger (TV Penzberg; 5:56,38 Minuten), der sich die Chance nicht entgehen ließ und sich Gold in dieser Disziplin abholte. Überschwänglichen Jubel sparte sich der neue Deutsche Meister jedoch, vielmehr ging sein erster Blick über die Schulter in Richtung seines Verfolgers. Das war eine starke Geste, eines Titelträgers absolut würdig!
Zu Recht freuen konnten sich zwei extrem trainingsfleißige Sportler über jeweils eine verdiente Bronzemedaille. Über 3000 Meter zeigte Emma Heckel (TSV Katzwang 05), die eigentlich auf den längeren Strecken zuhause ist, dass sie die Medaille unbedingt wollte. Auf den letzten Metern rang sie ihre Konkurrentin Clara Braun (TSV Bayer 04 Leverkusen) nieder und schnappte sich Platz drei, ebenso wie Paul Feuerer (LAC Passau), der in einem engen 1500-Meter-Finale ebenfalls seine Spurtqualitäten unter Beweis stellte und in 4:02,21 Minuten noch den Sprung aufs Treppchen schaffte. Gleich drei Bayern kamen bei den Jungs über 5000 Meter unter die besten acht. Felix Gramelsberger (SC Ainring; 15:16,85 Minuten) wurde Fünfter, Alexander Köhn (TSG 08 Roth; 15:20,13 Minuten) landete einen Platz dahinter, während Tobias Prater (LG Allgäu; 15:23,78 Minuten) auf dem achten Rang einkam.
Sprint: Mona Mayer mit Doppel-Silber und Tina Benzinger mit Bronze halten Bayern-Fahne hoch
Recht überschaubar präsentierte sich das Bild im bayerischen U 20-Sprint. Selbst die drei Medaillen in Heilbronn, die auf das Konto von zwei Mädchen gingen, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass schon allein die reine Beteiligung von Normerfüllern aus dem Freistaat bereits mehr als mangelhaft war. Natürlich fehlten verletzungsbedingt potenzielle Medaillenkandidaten wie zum Beispiel der bayerische 100-Meter-U 20-Rekordler Fabian Olbert (LG Stadtwerke München) und die vorjährige U 20-EM-Teilnehmerin Svenja Pfetsch (SC Vöhringen). Aber die Flaute über 400 und 400 Meter Hürden bei den Jungs, im männlichen Kurzsprint und bei den Kurzhürden zeichnete sich bereits im vergangenen Jahr in der U 18 ab und setzt sich jetzt in der nächsthöheren Altersklasse nahtlos fort. Über 400 Meter Hürden bei der männlichen U 20 findet sich im übrigen in der bayerischen Bestenliste derzeit nur ein einziger (!) Läufer mit einer Wettkampfleistung.
So lag es an den beiden schnellen jungen Damen, für den bayerischen U 20-Sprint die Kastanien aus dem Feuer zu holen, wobei eine gleich zwei Mal den Sprung auf den Silberplatz schaffte. Über 400 Meter wartete Mona Mayer (LG Telis Finanz Regensburg) im Finale abermals mit einer hervorragenden Zeit auf (53,69 Sekunden), die in den Vorjahren locker für Gold gereicht hätte, musste aber im Schwäbischen der starken Brenda Cataria-Byll (LG Olympia Dortmund), die 52,94 Sekunden brauchte, den Vortritt lassen. Eine ähnliche Situation ergab sich tags darauf über 200 Meter, wo Mayer mit der ehemaligen U 18-Weltmeisterin Talea Prepens (TV Cloppenburg) auf eine ebenfalls übermächtige Gegnerin traf. Auch hier schien die Regensburgerin auf Silber abonniert zu sein. Ein Trost war da zumindest, dass sie am späten Sonntagnachmittag exzellente Sprintbedingungen antraf und mit hervorragenden 23,82 Sekunden zum ersten Mal unter der 24-Sekunden-Marke blieb. Prepens schrammte mit 23,41 Sekunden nur hauchsünn an ihrer bei der Frauen-DM aufgestellten Bestzeit vorbei.
Ebenfalls gerne auf dem Treppchen gelandet wäre im 200-Meter-Finale Tina Benzinger (LG Stadtwerke München). Am Ende blieb für sie aber nur der undankbare vierte Rang in 24,32 Sekunden. Ihre Medaille hatte sich Benzinger jedoch schon am Tag zuvor geholt. In einem fulminanten 100-Meter-Endlauf, den Lilly Kaden (FC Schalke 04) in sensationellen 11,32 Sekunden vor Talea Prepens in 11,41 Sekunden gewann, wurde die Münchnerin ungefährdete Dritte in nicht minder guten 11,82 Sekunden. Ihre Mannschaftskamerad Jakob Matauschek (LG Stadtwerke München) war der einzige männliche U 20-Sprinter aus Bayern, der ein Finale erreichte. Über 200 Meter belegte Matauschek mit neuer persönlicher Bestzeit von 21,76 Sekunden einen respektablen fünften Platz.
Sprung: Batz führt lange und gewinnt ebenso wie Hochspringer Reß Silber
Im Weitsprung legte Simon Batz (LG Landkreis Kelheim) gleich in Runde eins mit 7,37 Metern vor und schockte damit die Konkurrenz. Vier weitere Versuche sollte es dauern, bis ihm jemand Paroli bieten konnte, und das war Till Steinforth. Der Athlet vom SV Halle, der zwei Wochen zuvor noch mit drei Ungültigen im Stabhochsprung unglücklich eine Zehnkampf-DM-Medaille verpasste hatte, setzte im fünften Versuch 7,48 Meter in die Grube. Simon Batz nahm die Herausforderung an – 7,32 Meter in Runde sechs reichten aber nicht für den Konter- schade.
Mit vielen Fehlversuchen begann der Hochsprung der männlichen U 20, auch Favorit Jonas Pomsel (SC Potsdam) benötigte für seine ersten Höhen jeweils zwei Anläufe. So war es der spätere Silbermedaillen-Gewinner Philipp Reß (LA-Team Alzenau; 2,03 Meter), der mit einer überwiegend weißen Weste bei 1,99 Metern die Führung innehatte. Dann aber nahm Pomsel das Heft in die Hand, schwang sich im zweiten Versuch über 2,03 und im Ersten über 2,06 Meter. Das war Gold wert. Reß, der einen klasse Wettkampf ablieferte, blieb Silber. Mit Platz sieben musste sich seine weibliche Kollegin, die Siebenkampfkämpferin Luisa Tremel (TSV 1909 Gersthofen) im Hochsprung der weiblichen U 20 begnügen. Ihre Höhe: 1,70 Meter.
Über die Deutschen U 18-Meisterschaften erfolgt ein seperater Bericht