DM Kassel, Tag zwei: Zwei Deutsche 800-Meter-Meister aus Bayern und ein weißblauer Doppelsieger
Die Frage vor dem 800-Meter-Finale konnte nur lauten: Christina Hering (LG Stadtwerke München) oder Fabienne Kohlmann (LG Karlstadt-Gambach-Lohr)? Die beiden Trainingspartnerinnen hatten in den vergangenen vier Jahren die Titel über die beiden Stadionrunden unter sich aufgeteilt, im vergangenen Jahr in Nürnberg war Kohlmann noch vor Hering gelandet und hatte ihre Münchner Trainingspartinerin zu ihrer ersten Zeit unter 2:00 Minuten gezogen. Diesmal jedoch lagen die Vorzeichen anders. Am Samstag hakte die Karlstädterin in einem Solo-Parcorsritt in 2:00,49 Minuten die Olympianorm vorzeitig ab. Doch wie viele Körner hatte sie bei ihrem Alleingang gelassen?
Um es vorweg zu nehmen: nur wenige. Aber am Schluss doch das eine oder andere zu viel. In einem packenden Rennen lagen Hering und Kohlmann lange Zeit gleichauf, die Ältere und Kleinere der beide lief sogar auf einer Woge der Euphorie getragen wieder vorneweg. Nach Ende der ersten Runde (59,63 Sekunden) schob sich jedoch Christina Hering nach vorne. Eigentlich schien die Deutsche Hallenmeisterin schon enteilt zu sein, doch in der Zielkurve attackierte die Titelverteidigerin noch einmal mit ihren letzten Reserven. Plötzlich lag Fabienne Kohlmann vorne, doch Christina Hering hatte die größere Reserven und überquerte nach 2:02,19 Minuten den Zielstrich. Kohlmann landete mit 2:03,15 Minuten noch um fast eine Sekunde hinter ihr.
"Zu Beginn konnte ich mich nicht wie geplant als Zweite einordnen. Das musste ich ausbügeln. Als ich die Zwischenzeit gesehen habe, wusste ich: Das wird eng mit einer guten Zeit", analysierte Christina Hering anschließend das Rennen. "Fabienne und ich hatten schon gestern starke Belastungen. Dennoch können wir beide glücklich aus dem Wochenende gehen. Wenn ich vorne bin, will ich auch niemanden mehr vorbeilassen. Ich konnte zwei Angriffe von Fabienne abwehren. Ich bin happy, dass ich jetzt Deutsche Hallen- und Freiluftmeisterin bin. Dass ich dazu auch noch fest bei Olympia dabei bin, habe ich noch gar nicht realisiert. Ich bin gespannt auf die Europameisterschaften. Da war ich noch nie. Das Niveau der Konkurrenz lässt sich noch schwer einschätzen. Ich will die erste Runde überstehen, aber natürlich ist auch das Finale ein Ziel."
Fabienne Kohlmann war ebenfalls völlig mit sich im Reinen. "Es war ein sehr gutes Rennen", gestand sie. "Ich hatte eine Taktik mit Christina ausgemacht: Ich laufe die erste Runde vorne, dann geht sie an die Spitze. Das ist von meiner Seite gut aufgegangen. Wir waren aber nicht ganz so schnell, wie wir es vor hatten. Auf den letzten 300 Metern war dann die Flasche leer. Es ist eine Sache, ausgeruht gegen die Zeit zu laufen. Heute habe ich den Lauf gestern gemerkt. Natürlich hätte ich gerne gewonnen, aber Christina ist eine starke Gegnerin, die sich den ersten Platz gut erkämpft hat und den Sieg verdient. Für mich war es eine Bestätigung, dass ich das Turnier hier richtig angegangen bin. Ich wollte eine Medaille und die Norm, das habe ich geschafft. Natürlich hat sich der Fuß heute auch wieder ein bisschen gemeldet. Ich hatte auch etwas feste Waden. Wenn man daran denkt, dass ich mich vor zwei Wochen noch mit Schmerzen rumgeplagt habe kommt man zu dem Schluss: Ich habe in den letzten zwei Wochen einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Ich habe drei Rennen in einer Woche gemacht, zwei an zwei aufeinander folgenden Tagen und ich kann immer noch laufen (lacht). Das ist aus der Sicht meines letzten Monats nicht selbstverständlich. Dafür bin ich dankbar."
Welche Qualität die Münchner Trainingsgruppe um Christina Hering und Fabienne Kohlmann besitzt, wurde durch zwei weitere junge Damen der LG Stadtwerke München deutlich, die ebenfalls in Kassel den DM-Endlauf erreicht hatten. Die U 20-Jugendliche und designierte WM-Teilnehmerin Mareen Kalis belegte in 2:05,52 Minuten Rang fünf und auf dem siebten Platz landete Christine Gess (2:06,59 Minuten).
Benedikt Hubers erste Deutsche Meisterschaft
Dass auch bei den Männer die Goldmedaille über die zwei Stadionrunden in den Freistaat ging, damit hätten die wenigsten gerechnet. Mit Benedikt Huber (LG Telis Finanz Regensburg) behielt jedoch der konstanteste deutsche Läufer verdiente im Auestadion die Oberhand. Der Oberbayer im Regensburger Dress kontrollierte das Rennen von der Spitze weg, wehrte alle Angriffe der Konkurrenz ab und ließ sich im Spurt die Goldmedaille nicht mehr nehmen. Nach 1:47,17 Minuten feierte der 26-Jährige seinen ersten DM-Titel.
Benedikt Huber hatte eine kluge Taktik gewählt, denn einige andere Läufer hinter ihm kamen nach 550 Metern ins Straucheln. Der Braunschweiger Andreas Lange verlor nach einem heftigen Rempler sogar komplett den Anschluss und ging aus dem Rennen. "Der erste Titel, es fühlt sich sehr schön an. Ich war nicht drauf eingestellt, dass ich alles von vorn machen muss. Ich habe die Konkurrenten auf der Anzeigetafel gesehen, insbesondere den Angriff von Marc Reuther. Natürlich habe ich dann wieder angezogen, damit er nicht vorbeikommt. Vor dem Rennen habe ich mir eine Medaille ausgerechnet. Auf Gold habe ich gehofft", jubelte Benedikt Huber nach seiner Titel-Premiere.
Zwei Titel für Johannes Trefz
Dass Johannes Trefz (LG Stadtwerke München) gleich zwei Mal Gold von den Deutschen Meisterschaften mit nach Hause bringen würde und damit zum mithin erfolgreichsten Teilnehmer der Tage von Kassel aufstieg, das hätten ebenfalls nur die kühnsten Optimisten erwartet. "Ich habe mein Ding durchgezogen", kommentierte der 24-Jährige nach seinem Sieg im Einzelfinale über 400 Meter trocken. Dabei schien die Konstellation vor Beginn des Endlaufes völlig offen. Nachdem der Jahresschnellste Alexander Gladitz (Hannover 96) überraschend auf das Finale verzichtet hatte, stiegen die Chancen von Johannes Trefz, der im Vorlauf die zweitbeste Zeit erzielt hatte. Von Beginn an drückte der lange Münchner dem Rennen seinen Stempel auf, ging forsch an und wehrte sogar die Angriffe des späteren Zweiten Alhagie Drammeh (TG Werste; 46,62 Sekunden) ab. Mit drei Hundertstelsekunden Vorsprung (46,59 Sekunden) gewann Trefz, während Shootingstar Patrick Schneider (LAC Quelle Fürth) in einem sehr guten Rennen in 46,93 Sekunden auf dem Bronzerang landete und sich nun sogar Chancen ausrechnen darf, mit der deutschen 4 x 400-Meter-Staffel zur EM nach Amsterdam zu fahren.
"Wenn ich Zweiter geworden wäre, wäre ich enttäuscht gewesen", sagte Johannes Trefz. "Ich bin angereist mit dem Ziel, EM-Norm zu laufen und Deutscher Meister zu werden. Ich habe im Vorlauf schon gemerkt, dass es extrem schwer ist, hier schnell zu rennen. Ich bin sehr zufrieden, den Titel geholt zu haben. Schade, dass es nicht mit der Norm geklappt hat. Jetzt hoffe ich, dass der DLV ein Auge zudrückt und mich mit meinen 46,02 Sekunden nominiert. Das wäre natürlich das Happyend. Das Rennen war gut. Ich muss am Anfang mehr Druck machen, aggressiver laufen. Das habe ich gemacht. Bei 300 Metern lag ich vorne. Meine Stärke liegt auf der Zielgeraden. Daher habe ich mein Ding durchgezogen. Es wurde zwar nochmal knapp, aber es hat gereicht. Um so erleichterter und zufriedener bin ich jetzt. Ich habe kürzlich kaum trainiert, da ich in Luzern am Dienstag war. Mit der Staffel heute habe ich also vier Rennen in sechs Tagen absolviert. Dann reichts auch. Die weitere Planung hängt nun an der Tatsache, ob ich für die EM nominiert werde oder nicht."
Die Staffel: Das war Trefz` letzter Einsatz an diesem Sonntag in Kassel. Und was für einer! „Rekordverdächtig“ waren die Wechsel nicht, scherzte Tobias Giehl. Der Schlussläufer der LG Stadtwerke München war in erster Linie über den Meistertitel erfreut, die Sieger-Zeit von 3:10,84 Minuten war da nebensächlich. Seine LG-Kollegen hatten vor der letzten Staffelholz-Übergabe einen relativ großen Vorsprung herausgelaufen. Da machte es auch nichts, dass Giehl zu Beginn nicht mehr so spritzig war. Denn: „Auf meinen guten Kick am Ende kann ich mich verlassen“, sagte das Team-Mitglied des neuen Deutschen Staffel-Meisters, zu dem auch Benedikt Wiesend, Laurin Walter und eben Johannes Trefz zählten.
Dieser musste um seinen zweiten Meistertitel trotz des Vorsprungs noch bangen, denn der Schlussläufer der VfL Eintracht Hannover (3:10,92 Minuten) Alexander Juretzko kam Tobias Giehl Richtung Ziellinie immer näher. Ein Überholmanöver gelang aber nicht mehr.
Respekt: Immerhin hatte Tobias Giehl - ebenso wie Johannes Trefz - zuvor schon das Finale über 400 Meter Hürden in den Beinen. Und dessen Ausgang ließ ihn durchaus ein wenig ratlos zurück. Als der Name des Siegers auf der Anzeigetafel erschien, musste Giehl als erklärter Favorit zunächst einmal durchatmen. Der Münchner war als einziger DLV-Athlet bisher mit einer internationalen Norm ausgestattet, war um sieben Hundertstel an seinem ersten DM-Titel vorbeigeschrammt – dahin war der erhoffte Lohn nach zwei verletzungsgeplagten Jahren und einem bemerkenswerten Comeback.
Umso größer fiel der Jubel bei Sieger Felix Franz (LG Neckar-Enz; 50,42 Sekunden) aus. Auf der Zielgeraden konnte er den Konkurrenten aus München niederringen und sich nach 2014 die zweite Goldmedaille bei Deutschen Meisterschaften der Aktiven sichern.
Maren Kock diesmal auf dem Silberrang
Konstanze Klosterhalfen TSV Bayer 04 Leverkusen) kann nicht langsam. Diese Erfahrung musste am Sonntag im Auestadion auch Maren Kock (LG Telis Finanz Regensburg) über die 1500 Meter machen. Die U 20-Europameisterin übernahm nach 500 Metern das Kommando. Für die zwei Runden zwischen 400 und 1.200 Meter brauchte die 19-Jährige nur 2:07 Minuten, diesem Zwischenspurt konnten Maren Kock und die anderen Konkurrentinnen nicht mehr folgen. Nach 4:07,92 Minuten stürmte Konstanze Klosterhalfen jubelnd ins Ziel. Den Spurt um Silber entschied Kock zu ihren Gunsten. Die Titelverteidigerin setzte sich mit 4:11,89 Minuten vor Diana Sujew (LG Eintracht Frankfurt; 4:12,27 Minuten) durch, verpasste aber erneute die EM-Norm (4:09,00 Minuten).
Kocks Vereinskameradin Julia Kick landete auf einem guten sechsten Platz (4:16,98 Minuten), Anne Kesselring (LAC Quelle Fürth) wurde Achte (4:17,71 Minuten). Corinna Harrer (LG Telis Finanz Regensburg) – von 2011 bis 2013 Deutsche Meisterin – verpasste das Finale. Nach überstandener schwerer Fußverletzung ging sie im Vorlauf nach 700 Metern aus dem Rennen.
Zwei Mal Edelmetall gab es für Bayern über 3000 Meter Hindernis der Männer - allerdings nicht in den Farben, die sich Martin Grau (LSC Höchstadt/Aisch) und insgeheim auch Patrick Karl (TSV Ochsenfurt) ausgemalt hatten. Grau übernahm nach langsamem Beginn zur Hälfte des Rennens das Kommando. Doch der Titelverteidiger musste eingangs der letzten Runde Karl und den späteren Titelträger Hannes Liebach (SSC Berlin; 8:45,50 Minuten) ziehen lassen. Patrick Karl, den viele als Favorit auf dem Zettel stehen hatten, konnte ebenfalls nicht mehr folgen, holte sich aber noch die Silbermedaille in 8:45,98 Minuten), während für Grau Bronze blieb (8:48,97 Minuten) blieb. Durchaus zufrieden mit seinem sechsten Rang in 8:58,75 Minuten war Konstantin Wedel (LAC Quelle Fürth).
Projekt "Titelverteidigung" auch für Florian Orth erfolglos
Es war Homiyu Tesfaye, der an der Spitze anfangs das Tempo im 1500 Meter-Endlauf der Männer anzog und das Rennen schnell machte. „Ich wollte unbedingt meinen ersten deutschen Meistertitel im Freien“, sagte der Frankfurter. Im Schlepptau hatte er Florian Orth (LG Telis Finanz Regensburg), Timo Benitz (LG farbtex Nordschwarzwald) und den Erfurter Sebastian Keiner. So ging es bis 1000 Meter.
Dann nahm Titelverteidiger Orth zwischenzeitlich das Heft in die Hand und ging in Führung. „Ich bin vorne lange alleine gelaufen, das Tempo war schwer durchzuhalten“, erklärte Tesfaye, dem am Ende nach intensiven Trainingswochen doch die nötige Kraft für den Titel fehlte. So schlug in Kassel der Deutsche Meister von 2014 zu: Eingangs zur Zielgeraden witterte Timo Benitz seine Chance und spielte wie schon so oft seine Spurtstärke aus. Auf den letzten Metern kämpfte er sich noch an Tesfaye und Orth vorbei, die im Fotofinish (beide 3:40,67 Minuten) Silber und Bronze unter sich ausmachten.
Um die sprichwörtliche Haaresbreite eine Medaille verpassten dagegen drei andere Bayern. Am späten Vormittag fehlten Hammerwerfer Johannes Bichler (LG Stadtwerke München) mit 70,43 Meter nur 13 Zentimeter zu Bronze. Sein Trainingspartner, der Deutsche U 23-Meister Simon Lang (LG Stadtwerke München) blieb als Sechster mit 69,48 Meter unter der 70-Meter-Marke. Achter wurde Traistan Schwandke (TV Hindelang; 67,63 Meter). Regina Högl (LG Region Landshut) durfte sich jedoch als Vierte über 5000 Meter über eine neue persönliche Bestzeit (16:23,83 Minuten) freuen. Knapp dahinter Luisa Boschan (LG Telis Finanz Regensburg) als Fünfte in 16:25,66 Minuten). Rang sieben blieb für Domenika Mayer (LAC Quelle Fürth; 16:33,35 Minuten).
Eine ähnliche Situation gab es aus bayerischer Sicht über 500 Meter bei den Männern. Hier kam Mitku Seboka (LAC Quelle Fürth) auf dem undankbaren vierten Rang ins Ziel (14:07,03 Minuten). Für den vorjährigen Vizemeister Clemens Bleistein (LG Stadtwerke München) blieb diesmal der fünfte Platz in 14:08,38 Minuten), während sich Tim Ramdane Cherif (LG Telis Finanz Regensburg) als Achter über einen neuen Hausrekord (14:13,36 Minuten) freuen durfte.
Das bayerische Frauen-Speerwurf-Duo in Gestalt von Sarah Leidl (1. FC Passau) und Susanne Sibert (LG Augsburg) schlug sich auch bei der DM in Kassel mehr als achtbar. Leidl wiederholte ihren großartigen fünften Rang von Nürnberg hinter den deutschen "Big Four" Christin Hussong, Katharina Molitor, Linda Stahl und Christina Obergföll. Diesmal kam sie auf 53,87 Meter, während die 52,12 Meter von Siebert für den achten Platz reichten.
Außer bei den Männern der LG Stadtwerke München gab es im Auestadion keine weiteren Stockerlplätze für Staffeln aus dem Freistaat. Die Münchner Frauen kamen über 4 x 400 Meter in 3:43,36 Minuten auf den fünften Rang im Endklassement. Über die gleiche Distanz bei der männlichen U 20 gab es für die LG Karlstadt-Gambach-Lohr Platz sieben (3:20,20 Minuten). Ein guter sechster Platz steht für die 3 x 800 Meter-Staffel der weiblichen U 20 des LAC Quelle Fürth als Bilanz ihres Trips nach Nordhessen (7:03,89 Minuten).