Christina Hering vor der Hallen-WM in Portland: „Hellwach sein und Druck machen"
Bereits im Januar deutete die lang aufgeschossene WM-Halbfinalistin des Vorjahres mit dem Gewinn der Bayerischen Meisterschaft in Fürth ihre gute Form an. Doch im Anschluss lief die junge Münchnerin wie entfesselt. Beim Düsseldorfer PSD-Meeting steigerte sie nicht nur ihre persönlichen Hallenbestzeit auf 2:02,19 Minuten, sie knackte auch die Hallen-WM-Norm und unterbot in ihrem letzten Juniorenjahr zudem den seit 1984 bestehenden bayerischen Hallenrekord der Frauen. Kurz darauf gelang ihr beim Rennen in Glasgow sogar noch eine weitere Verbesserung auf 2:00,93 Minuten. Mit dieser neuen Indoor-Bestzeit schob sich Hering auf Rang neun der ewigen deutschen Hallenbestenliste – die letzte, die in die Top Ten über 800 Meter lief, war Ivonne Teichmann im Jahr 2001. Bei der Deutschen Hallenmeisterschaft in Leipzig Ende Februar unterbot sie die WM-Norm im Alleinganh erneut und verteidigte unangefochten ihren Vorjahrestitel.
Christina, wo soll das noch hinführen? Die eigene Hallenbestzeit um fast drei Sekunden verbessert, als 21-Jährige den bayerischen Hallenrekord von 1984 deutlich unterboten. Nun stehst du kurz vor der Abreise zur Weltmeisterschaft.
Christina Hering: Ich hätte auch nicht gedacht, dass es so gut läuft. Im vergangenen Herbst war ich zum zweiten Mal im Höhentrainingslager. Das lief richtig gut und ich bin fit wiedergekommen. Es ist dann aber nochmal eine andere Sache, das auch im Wettkampf zu zeigen. Ich bin nach den Erfolgen des Vorjahres mit viel Motivation in die Saison gestartet und war nach der Bayerischen Meisterschaft überzeugt, dass es noch deutlich schneller geht.
Das hast du in Düsseldorf gezeigt.
Christina Hering: Dort habe ich vor allem gemerkt, dass Rennen in der Halle doch ganz anders verlaufen. Es war extrem viel Dynamik drin – gefühlt war jeder mal vorne und jeder mal hinten. Auf den letzten 50 Metern hat es sich dann so angefühlt, als ob ich noch einen Extra-Turbo zünden konnte. Als ich dann Zweite wurde und so deutlich die Hallen-WM-Norm unterboten hatte, habe ich mich wahnsinnig gefreut.
Das gute Ergebnis in Düsseldorf hat dir dann den Start in Glasgow ermöglicht.
Christina Hering: Ja, genau. In Glasgow ging ich von den Vorleistungen her als langsamste Läuferin ins Rennen. Es ging sehr eng zu. Dass ich mich dort weiter steigern konnte und Vierte geworden bin, konnte ich schon kaum fassen. Und dann habe ich die Zeit gesehen und begriffen, dass ich damit plötzlich Zehnte der Welt bin.
So ist es. Mit 2:00,93 Minuten bist du in diesem Jahr die zehntschnellste Frau der Welt über 800 Meter. Das Rennen war jedoch keinesfalls perfekt. In der Schlussrunde hast du Gegnerin um Gegnerin kassiert. Was ist möglich, wenn du mal ein perfektes Rennen erwischst?
Christina Hering: Das habe ich mich auch gefragt. Es ging auf der letzten Runde noch so viel. Was wäre gewesen, wenn ich früher Druck gemacht hätte?
Mehr Druck machen – sieht so das perfekte Rennen für dich aus?
Christina Hering: Das wichtigste, was ich mir auch im Allgemeinen wünsche, ist ein faires Rennen. In den Kurven kann es schon mal Rempeleien geben, das war auch in Düsseldorf und Glasgow so, hat sich aber in Grenzen gehalten. Das kann extrem viel Kraft kosten. Ansonsten ist meine Hauptaufgabe hellwach zu bleiben und in der Lage zu sein auf alles zu reagieren, beziehungsweise besser noch, zu agieren. Es kann extrem viel passieren.
Keine Frau lief in diesem Jahr unter zwei Minuten. Die ersten zehn Frauen der Weltjahresbestenliste bewegen sich innerhalb einer Sekunde. Wird eine Zeit unter zwei Minuten fürs Finale in Portland erforderlich sein?
Christina Hering: Das ist schwer vorherzusagen. Jeder Vorlauf ist anders und es geht eher um die Platzierung. Das erste Ziel ist also, den Lauf zu gewinnen, was die direkte Qualifikation bedeutet. Und wie die Chancen dafür stehen, hängt immer auch davon ab, mit wem man im Vorlauf ist. Mein Vorteil ist, dass ich in den zurückliegenden Rennen gemerkt habe, dass es sehr hilfreich sein kann, wenn man auf den letzten Metern nicht eingeht, sondern noch Plätze gutmacht.
Was hast du dir für die Hallen-WM vorgenommen?
Christina Hering: Momentan befinde ich mich noch in der Position, dass ich eigentlich nur überraschen kann und nicht zwingend an vergangene Erfolge und Leistungen anknüpfen muss. Das ist eine angenehme Position. Trotzdem ist es wichtig, dass ich genügend Druck habe, aber da habe ich keine Sorge. Wichtig ist erstmal, dass ich die lange Anreise und das Jetlag verdaue und ich zu 100 Prozent fit an den Start gehen kann. Das Selbstvertrauen, über vier Runden das Tempo hochzuhalten, habe ich.
Bei der WM in Peking fanden Vorlauf und Halbfinale an aufeinanderfolgenden Tagen statt. Anschließend hattest du erklärt, dass du mit dem Vorlauf in den Beinen nicht mehr aus deinem Halbfinale herausholen konntest. In Portland ist der Zeitplan ähnlich. Wird es diesmal besser?
Christina Hering: Ich hoffe schon, dass ich Fortschritte bezüglich der Verträglichkeit der Rennen gemacht habe. In den letzten Wochen habe ich mich am Tag nach den Wettkämpfen immer gut gefühlt. Entscheidend wird im Falle einer Qualifikation fürs Finale sicher sein, was ich im Vorlauf dafür aufbringen musste. Zum Glück geht es den anderen Läuferinnen ähnlich.
Beim Zuschauen hatte man zuletzt den Eindruck, dass du dich in der Halle mit ihren engen Kurven trotz deiner Größe von 1,85m ziemlich wohlfühlst. Bereitet dir das gar keine Schwierigkeiten?
Christina Hering: Ich kann nach diesem Winter zumindest nicht mehr behaupten, dass ich mit der Halle nicht gut zurechtkomme. Ich habe schon im Training gemerkt, dass ich plötzlich ungewöhnlich gut mit den Kurven klarkomme. Aber natürlich bleibt es etwas anderes in der Halle zu rennen. Über die 400 Meter habe ich gemerkt, dass es ab einer gewissen Geschwindigkeit für mich schwierig wird. Hinzu kommt, dass jede Hallenbahn anders ist.
Neben Bundestrainer Henning von Papen hat auch dein langjähriger Heimtrainer Daniel Stoll, der dich schon betreut seitdem du 16 Jahre alt bist, die Möglichkeit mit nach Portland zu reisen. Stärkt dich das?
Christina Hering: Die gute Betreuung ist ein riesiger Vorteil. Daniel kennt mich sehr gut und weiß zum Beispiel wie ich mich in der Wettkampfvorbereitung verhalte. Es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn er mir vor dem Rennen bestätigt, dass alles passt. Auch beim gemeinsamen taktischen Vorbesprechen sind zwei Trainer von Vorteil.
Das Oregon Convention Center ist in eine Leichtathletik-Halle verwandelt worden, die Medaillen werden auf dem Pioneer Courthouse Square, dem zentralen Platz in Portland, übergeben. Die Zeremonie für die 800 Meter der Frauen ist am Sonntag, 20. März, ab 15 Uhr Ortszeit. Ist das nur ein Traum?
Christina Hering: Es ist der Traum eines jeden Sportlers eine Medaille zu gewinnen. Wenn man nun sieht, dass es extrem eng ist, ist eine Medaille nicht außer Reichweite. Aber ich möchte mir gar nicht so viele Gedanken darüber machen, sondern erstmal ins Finale kommen. Darauf liegt mein Hauptfokus, das motiviert mich ungemein. Bedenkt man, dass von sechs Finalteilnehmerinnen die Hälfte eine Medaille bekommt, dann scheint alles offen.
Das Daumendrücken aus München ist dir auf jeden Fall sicher.
Christina Hering: Ja, das gibt mir auch viel Rückenwind. Die Qualifikation für die WM hat alle sehr gefreut und ich habe nur gute Wünsche mit im Gepäck.
Kannst du schon über die WM hinaus blicken? Der Sommer ist mit EM und Olympischen Spielen sicher auch ein besonderer.
Christina Hering: Von Portland aus reise ich direkt weiter nach Flagstaff in Arizona. Dort habe ich ein paar Tage Ruhe, bevor drei Wochen Höhentrainingslager auf dem Programm stehen. Mitte April komme ich wieder nach München zurück und kurz darauf geht es dann nochmal für eine Woche nach Kienbaum, um mir den letzten Schliff für den Sommer zu holen. Anfang Mai starten die Wettkämpfe wieder und ich bin jetzt schon gespannt, was draußen möglich ist.
Der letzte Sommer lief ja überragend. Bronze bei der U 23-Europameisterschaft in Tallinn, Deutsche Vizemeisterin in Nürnberg und das Erreichen des WM-Halbfinales in Peking. Ist mit dem Unterbieten der Zwei-Minuten-Marke im vergangenen Jahr ein Knoten geplatzt?
Christina Hering: Ja, das war wohl rückblickend so. Fabienne (Kohlmann, Anm. d. Red.) ist etwa zwei Wochen zuvor als erste Deutsche seit einer gefühlten Ewigkeit unter zwei Minuten gelaufen. Vorher haben wir uns immer gewundert, was das für internationale Normen sind, die seit mehr als zehn Jahren keiner mehr unterboten hatte. Als Fabienne es geschafft hatte, wusste ich, dass ich es ebenfalls drauf habe. Wir trainieren täglich miteinander und liegen dort gleichauf. Zudem bin ich zuvor ja schon Bestzeit und B-Norm gelaufen. Wie das Rennen in Nürnberg dann ablief, war grandios. Anschließend habe ich deutlich gemerkt, dass man sich mit dieser Leistung in einer anderen Liga bewegt, dass die großen Namen, die immer weit weg schienen, plötzlich neben einem stehen.