Welches Bild eignet sich in der Leichtathletik bei der Übergabe der Verantwortung besser, als der Staffelwechsel? Peter Kapustin junior (links) übernimmt das Amt des BLV-Geschäftsführer von Toni Thalhammer (rechts). Über den reibungslosen Wechsel freut sich BLV-Präsident Wolfgang Schoeppe. Foto: Köchl

29.05.2012 15:44 // Von: Reinhard Köchl

Toni Thalhammer: „Ich sah mich immer als Mann der zweiten Reihe“

Eine Ära neigt sich dem Ende entgegen: Nach 29 Jahren und fünf Monaten räumt Toni Thalhammer (62) am Donnerstag, 31. Mai, als Geschäftsführer des Bayerischen Leichtathletik-Verbandes (BLV) seinen Schreibtisch und wechselt in die Altersteilzeit. Sein Nachfolger Peter Kapustin junior (29) übernimmt dann dessen Amtsgeschäfte. Im Interview mit blv-online hat der scheidende Geschäftsführer noch einmal Bilanz gezogen und auf Höhe- und Tiefpunkte seiner beruflichen Karriere zurückgeblickt.

Vier Präsidenten, von Arthur Mayer über Hartmut Schweitzer und Karl Rauh bis aktuell zu Wolfgang Schoeppe hat Toni Thalhammer seit dem 1. Januar 1983 als Geschäftsführer „gedient“. Eine relativ überschaubare Zahl für beinahe drei Jahrzehnte, die für die große Kontinuität innerhalb der bayerischen Leichtathletik-Familie spricht. Möglicherweise lag dies - wie vieles andere auch – an der „guten Seele“ im Hintergrund, dem „Chef-Diplomaten“ und „Mann des Ausgleichs“, wie sich Thalhammer selbst gerne bezeichnet, der viele Brandherde austreten konnte, bevor sie sich zum Großfeuer entwickelten, der Zusammenhänge erkannte, wo sie zunächst niemand sehen mochte, der Probleme nicht aussaß, sondern sie pragmatisch zu lösen verstand. Der gebürtige Freisinger Thalhammer überließ die öffentliche Bildfläche lieber den Athleten, Trainern und Funktionären, während er im Hintergrund stets fieberhaft darum bemüht war, die Räder der bayerischen Leichtathletik am Laufen zu halten.

Als Thalhammer mit gerade einmal 32 Jahren am 1. Januar 1983 in die BLV-Geschäftsstelle eintrat, war er nur unwesentlich älter als Peter Kapustin junior 2012. Die Büroräume befanden sich zu jener Zeit noch im so genannten Zausinger-Haus in der Münchner Brienner Straße, wie überhaupt sämtliche Fachverbände des Bayerischen Landes-Sportverbandes (BLSV) vor dem Bau des Hauses des Sports dezentral über die gesamte Landeshauptstadt verteilt lagen. Aus der damaligen „Mannschaft“ sind noch heute Ingrid Henke und Ursula Schulte dabei. Am 1. Januar 1984 beerbte Toni Thalhammer dann vollends seinen Vorgänger Egon Kloppmann, neben dem er zuvor ein Jahr lang in einer Art Doppelfunktion das Amt des Geschäftsführers ausgeübt hatte. Als aktiver Leichtathlet beim TSV Jahn Freising und später beim TSV Erding habe er sich „versucht“, gesteht Thalhammer mit einem Augenzwinkern. Viel eher lag ihm da die Rolle des Sportfunktionärs, die auch in seinem Fall, wie so häufig, der Zufall mit sich brachte. Als der Bezirk Oberbayern nämlich Mitte der 1970er Jahre einen Schülerwart suchte, sprach ihn der damalige Jugendwart Günter Kröger einfach an. Der Thalhammer-Toni griff zu, ohne zu wissen, auf was er sich da genau einließ und vor allem was sich daraus noch entwickeln sollte. Der Beginn einer beispiellosen Karriere im Dienste der Leichtathletik, die im Laufe der folgenden Jahrzehnte ihre Spuren im Freistaat hinterlassen sollte.

blv-online: Wenn Sie an Ihren letzten Arbeitstag beim Bayerischen Leichtathletik-Verband denken, was überwiegt da für Sie: Das lachende oder das weinende Auge?

Toni Thalhammer: Kann ich schwer sagen, es ist sowohl das eine wie auch das andere dabei. Ich blicke auf wahnsinnig schöne Jahre mit vielen Highlights in diesem Verband zurück, bei denen ich teilweise sogar in verantwortlicher Funktion mitwirken durfte. Spontan fallen mir da natürlich die Europameisterschaften 1986 und die Weltmeisterschaften 1993 in Stuttgart ein sowie natürlich die EM 2002 im Münchner Olympiastadion, das ja wahrscheinlich leider nicht mehr für die Leichtathletik zur Verfügung steht. Darüber hinaus entstanden viele internationale Kontakte, verbunden mit tollen Reisen zu Vergleichskämpfen nach Chile oder in die baltischen Länder sowie zu einem Marathon nach Madagaskar. So etwas vergisst man nie. Außerdem bin ich dankbar dafür, dass ich den BLV in seiner jetzigen Form mit gestalten durfte, mit seiner Personalausstattung und seiner Bedeutung. Wenn ich jedoch über die in den vergangenen Jahren kontinuierlich rückläufige finanzielle Situation nachdenke, so fällt mir mein Abschied nicht mehr allzu schwer.

blv-online: Der BLV geht also harten Zeiten entgegen?

Thalhammer: Definitiv. Die Änderung der Sportförderrichtlinien hat unsere wirtschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich verschlechtert. Wir müssen schlichtweg in Zukunft mit weniger Geld auskommen. Aus diesem Grund wurde vor kurzem eine Arbeitsgruppe „Haushalt“ im BLV-Präsidium gebildet, die nach Einsparungsmöglichkeiten in den kommenden Jahren sucht.

blv-online: Wenn Sie Bilanz ziehen, erinnern Sie sich sicherlich auch an die weniger schönen Momente, an die richtig heftigen Nackenschläge?

Thalhammer: Ohne die geht es vermutlich nicht. 1986 endete die Neuauflage des Hanns-Braun-Sportfestes mit einem absoluten finanziellen Desaster. An den Folgen und Ärgernissen habe ich eine ganze Zeitlang geknabbert. Und dann war da natürlich der Missbrauchsskandal um den ehemaligen BLV-Sprinttrainer im Spätherbst 2008, der bundesweit für Schlagzeilen sorgte. So etwas macht einen auch persönlich sehr betroffen, wenn man einen Menschen über Jahre hinweg zu kennen glaubt und von seinen fachlichen Fähigkeiten mehr als überzeugt ist. Ganz besonders schlimm wurde es für mich, als ich zwei Tage vor Heiligabend von der Kriminalpolizei vernommen wurde, dabei Einsicht in die Ermittlungsakten bekam und zum ersten Mal das ganze Ausmaß dieser Sache erkennen konnte. Ich habe nächtelang nicht geschlafen. Zum ersten und bislang einzigen Mal habe ich deshalb Weihnachten mit meiner Frau in einem Hotel verbracht.

blv-online: Die Funktion eines Geschäftsführers ist normalerweise eine sehr theoretische und hängt wesentlich von der Person ab, die sie bekleidet. Wie haben Sie Ihre Rolle definiert?

Thalhammer: Ich sah mich immer als Mann der zweiten Reihe und wollte eigentlich nicht im Mittelpunkt stehen. Ein Mann des Ausgleichs sozusagen. Für mich war dies stets das oberste Gebot. Außerdem sah ich eine Hauptaufgabe darin, den Verband in der Öffentlichkeit möglichst positiv darzustellen, was für potenzielle Sponsoren und das Bild der Leichtathletik eigentlich unbedingt notwendig ist. Und dann ging es mir in all den Jahren vor allem um eine seriöse, nachvollziehbare Finanzpolitik. Die Verhältnisse, in denen sich der BLV bewegte, sollten auf jeden Fall ausgewogen und abgesichert sein, so dass wir nie in unkalkulierbare Schwierigkeiten geraten sollten. Außerdem soll natürlich eine Geschäftsstelle wie die unsere funktionieren, dafür fühle ich mich zuerst verantwortlich. Ohne meine Mitarbeiter wäre eigentlich nichts möglich gewesen. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken!

blv-online: Wenn einer das Wesen der bayerischen Leichtathletik beschreiben kann, dann doch Sie.

Thalhammer: Bayern ist ein wunderschönes Land, ein Flächenstaat, in dem es eine ganze Menge Idealisten und Ehrenamtliche gibt, die sich über viele Jahre hinweg etwas einfallen lassen. Dem BLV ist es in enger Zusammenarbeit mit den Vereinen immer wieder gelungen, in der internen Wertung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes Spitzenplätze und nicht selten sogar die erste Stelle einzunehmen. Irgendwie hat mich das immer mit großer Genugtuung erfüllt, gerade wenn ich an unsere wirtschaftliche Situation denke. Als schmerzlich empfinde freilich ich den Rückgang der Großvereine mit dem entsprechenden finanziellen Hintergrund. Gerade nach der Schließung des Versandhauses hat das LAC Quelle Fürth quasi seine Lebensader verloren. Die LG Telis Finanz Regensburg und die LG Stadtwerke München sind dafür in die Bresche gesprungen und bilden heute einen Anlaufpunkt für Leistungssport im Aktivenbereich. Genau hier liegt unser Problem: Wir schaffen exzellente Voraussetzungen für die Leichtathletik im Nachwuchsbereich, die Vereine leisten hier großartige Arbeit. Wenn es jedoch nicht gelingt, dieses Niveau auch auf die Erwachsenenebene in Bayern hinüber zu transportieren, sprich eine entsprechende Struktur zu schaffen, dann wird diese Arbeit häufig unvollendet bleiben.

blv-online: Welche Tipps geben Sie ihrem Nachfolger Peter Kapustin junior mit auf den Weg?

Thalhammer: Eigentlich weiß er selber ganz genau, was zu tun sein wird. Vor allem dem Aspekt „Sponsoring“ fällt bei geringerer Mittelzuweisung durch den Freistaat Bayern eine immer größere Bedeutung bei. Hier traue ich ihm durchaus einiges zu. Ansonsten würde ich ihm empfehlen, ebenfalls auf Ausgleich zu setzen und im Hintergrund zu wirken. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man als junger Mensch durchaus seine eigenen Vorstellungen einbringen will. Aus diesem Grund werden ihm meine Fußstapfen sicherlich nicht zu groß sein.

blv-online: Bleiben Sie der Leichtathletik in irgendeiner Weise erhalten?

Thalhammer: Meine aktive Zeit ist mit dem 31. Mai ganz sicher abgeschlossen. Dass mein Herz jedoch weiter an der Leichtathletik im Allgemeinen und am BLV im Besonderen hängt, dürfte jedem klar sein, der mich kennt. Der Verband war meine Familie, so etwas lässt sich nicht von heute auf morgen aus dem Gedächtnis streichen. Ich werde mit Sicherheit jeden Tag die Homepage des Bayerischen Leichtathletik-Verbandes aufrufen, um mich über die Neuigkeiten zu informieren. Und vielleicht drängt es mich hin und wieder mal zu einem Leichtathletik-Sportfest. Aber jetzt ist erst mal Feierabend.