Jakob Kemminer / Tobias Tent (rechts) / Jule Lindner / Leni Hanselmann / Elias Kolar / Carina Beraz / Ella Obeta / Cassian Holland-Moritz / Millicent Mensah / Elena Schernhardt und Annika Just. Alle Fotos: Theo Kiefner

25.02.2024 23:41 // Von: Reinhard Köchl

Jugend-DM Halle Dortmund: Jakob Kemminer krönt sich zum Sprint-Prinzen

Bayern auf Platz eins: Mittlerweile ist dies bei deutschen Nachwuchsmeisterschaften fast schon ein standesgemäßes Bild. Auch bei den diesjährigen Deutschen Jugend-Hallenmeisterschaften, die wie im Vorjahr in der Dortmunder Helmut-Körnig-Halle über die Bühne gingen, belegte der Freistaat in der Addition aller Landesverbände wieder die Spitzenposition mit 196 Punkten vor Sachsen (93) und Nordrhein (83). Den Vogel schoss dabei ein Sportler ab, der eigentlich noch der U 18-Klasse angehört: Sprinter Jakob Kemminer (TSV Ochenbruck) setzte sich mit seinem unbändigen Kampfeswillen sowohl über 60 wie auch über 200 Meter gegen die zum Teil bis zu zwei Jahre ältere Konkurrenz durch. Über 1500 Meter zeigte Tobias Tent (LG Stadtwerke München) mit seinem souveränen Titelgewinn, dass er nicht zuletzt wegen seinen taktischen Vermögens die große bayerische Lauftradition fortsetzen kann. Darüberhinaus gewannen Sportlerinnen und Sportler aus dem Freistaat noch ein Mal Silber und vier Mal Bronze.

Ja, nervös war er schon. So nervös, dass er im 60-Meter-Finale am späten Samstagnachmittag beim Kommando "Auf die Plätze" versehentlich sogar den Startblock aus seiner Verankerung riss. Als Jakob Kemminer hektisch versuchte, das Malheur wieder zu reparieren, hatte der Starter ein Einsehen und ließ alle Finalisten noch einmal aufstehen. Glück für den 17-jährigen Mittelfranken, der danach freilich mit den schlechtesten Start erwischte. "Im Training läuft das, aber im Wettkampf bin ich manchmal zu verkopft und will gewinnen. Dann mache ich zu kurze Schritte und bin zu schnell aufrecht", analysierte Kemminer später. Doch 60 Meter reichten, um sich mit unglaublichem Kampfeswillen am ganzen Feld vorbeizuschieben.

 

Die Auflösung, welcher der acht Sprinter das Rennen gemacht hatte, gab es erst einige Minuten nach dem Endlauf, so knapp war die Entscheidung ausgefallen. Und am Ende jubelte mit Kemminer einer der Jüngsten im Feld, der im Januar erst 17 Jahre alt geworden war Mit 6,85 Sekunden schaffte er trotz des verkorksten Starts sogar eine neue Bestzeit. Auch für den zweitplatzierten Noah Müller (Cologne Athletics) warf die Anzeigetafel in 6,86 Sekunden eine neue "PB" aus. Die beiden Drittplatzierten konnte hingegen selbst die Tausendstel-Auswertung nicht trennen: 6,87 Sekunden brachten sowohl Louis Schuster (SG Motor Gohlis-Nord Leipzig e.V.) als auch Benedikt Thomas Wallstein (LC Top Team Thüringen) auf den Bronzerang. Noch ein weiterer bayerischer Sprinter hatte sich für das Finale qualifiziert: Nils Leifert (LAC Quelle Fürth) wollte eigentlich seinen deutschen Hallentitel über 60 Meter Hürden verteidigen, aber eine Blessur verhindert momentan eine Betätigung in seiner Spezialdisziplin. Insofern sind die 6,96 Sekunden und der siebte Platz aller Ehren wert.

 

"Ich war nach der Meldeliste Nummer zwei, also habe ich schon auf den Sieg gehofft. Dass es dann geklappt hat, ist natürlich ultraschön", sagte Jakob Kemminer. "Das war ganz knapp!", sei das Erste gewesen, was ihm nach dem Zieleinlauf durch den Kopf gegangen sei. "Ich war mir sicher, dass es eine Medaille ist, aber dass ich gewonnen habe, hätte ich nicht sagen können. Wenn ich gewusst hätte, dass der Athlet auf der Bahn neben mir Zweiter ist, hätte ich es geahnt." Zeit, um an seinem Start zu feilen, hat er nun bis zur Sommersaison reichlich. Sein großes Ziel: die Teilnahme an der U 18-EM in Banská Bystrica (Slowakei).

 

Trotz Bahn vier über 200 Meter zum zweiten Titel

 

Die Auslosung für den 200-Meter-Endlauf am Sonntag meinte es nicht gut mit Jakob Kemminer. Obwohl er seinen Vorlauf gewonnen hatte, wurde der junge Bayer auf Bahn vier gesetzt - gerade bei einer gesprinteten Hallenrunde ein deutlicher Nachteil gegenüber den oberen Bahnen fünf und sechs, die ausgangs der Kurve quasi bergab laufen können. Eingangs der letzten Kurve sah es auch tatsächlich so aus, als könnte Louis Schuster (SG Motor Gohlis-Nord Leipzig e. V.) seine Bronzemedaille über 60 Meter auf der längeren Sprintstrecke vergolden. Doch auf den letzten Metern packte Kemminer wieder mal sein Mega-Finish aus. Anders als tags zuvor über die 60 Meter, als die Entscheidung hauchdünn zugunsten des 17-Jährigen ausgefallen war, konnte er es sich diesmal sogar noch leisten, beim Zieleinlauf den Arm triumphierend in die Höhe zu strecken. Ebenso wie im 60-Meter-Finale rannte er auch diesmal neue Bestzeit: 21,55 Sekunden. Dies bedeutete gleichzeitig eine weitere Verbesserung seines bayerischen U 18-Hallenrekordes. Silber holte Louis Schuster mit 21,64 Sekunden, Bronze gewann in Bestzeit (21,68 sec) Justin Rennert (SC Berlin), Knapp leer aus ging Cassian Holland-Moritz (LG Stadtwerke München), der in 21,73 Sekunden ebenfalls das schnellste Rennen seiner jungen Karriere ablieferte und toller Vierter wurde.

 

Tobias Tent hat das beste Finish

 

Erst im letzten Drittel des Rennens nahmen die Favoriten über 1500 Meter so richtig die Beine in die Hand. Bis dahin hatten sie aufgereiht wie an einer Perlenschnur ihre Runden durch die Helmut-Körnig-Reihe gedreht. Doch dann machten Jonas Patri (TSV Bayer 04 Leverkusen), Tobias Tent (LG Stadtwerke München) und Tammo Doerner (LG Olympia Dortmund) ernst und zogen der Konkurrenz davon. Einzig der Dresdner Tore Machnow versuchte noch mitzuhalten. 

 

Die Schlussrunde gehörte dann Tobias Tent, der auch mit der schnellsten Meldezeit angereist war. Pünktlich zum Klang der Glocke schob er sich innen an Jonas Patri vorbei und verschärfte das Tempo. Diesmal konnte keiner mehr mitgehen. So hatte der Münchner auf der Zielgeraden sogar noch Zeit, ausgiebig zu jubeln. "Der Rennverlauf kam mir entgegen, weil ich wusste, dass ich gut sprinten kann", erklärte der 18-jährige Münchner, der froh war um die ersten paar Runden "Schongang": "Ich bin am Mittwoch mit Halsschmerzen aufgewacht und wusste nicht, wie fit ich bin."

 

Die Schlussrunde empfand er als "brutal hart". "Es war ein bisschen blöd gegenüber Jonas, dass ich genau eingangs der letzten Runde versucht habe, innen vorbeizugehen. Aber ich habe mir gedacht, dass die Lücke groß genug ist. Es war auch schön, dass ich auf den letzten Metern ein bisschen jubeln und genießen konnte."  Als Siegerzeit wurden 3:55,17 Minuten notiert, Jonas Patri holte in 3:56,51 Minuten Silber. Bronze rettete vor Heimpublikum Tammo Doerner (3:56,81 Minuten) vor dem heraneilenden Tore Machnow (3:57,17 Minuten) ins Ziel.

 

Jule Lindner erkämpft sich Silber

 

Eine verdiente Silbermedaille in einem superspannenden 1500-Meter-Finale bei der weiblichen Jugend ging auf das Konto von Jule Lindner (LG Bamberg). Die ersten 900 Meter und die letzten 50 des Endlaufs Lera Miller: Die U 18-Läuferin vom VfL Löningen, die erst im März 17 Jahre alt wird, spannte sich vor das Feld und bestimmte nach dem Startschuss das Tempo. An ihrer Schulter recht bald: Favoritin Vanessa Mikitenko (SSC Hanau-Rodenbach). Die Fünfte der letztjährigen U 20-EM über 3000 Meter kontrollierte das Feld, setzte sich drei Runden vor Ziel an die Spitze und zog das Tempo an.

 

Wer jedoch gedacht hätte, sie könne ihre Verfolgerinnern mühelos abschütteln, der irrte: Die erste Lücke hatten Lera Miller und an ihren Fersen auch Jule Lindner nach einer Runde wieder zugelaufen. Die zweite Lücke, die nach der nächsten Tempoverschärfung von Vanessa Mikitenko gerissen war, wurde auf den letzten 75 Metern kleiner und kleiner – bis Lera Miller auf der Zielgeraden wieder an Vanessa Mikitenkos Seite war. Dann der Schreck: Beide Läuferinnen berühren sich, Vanessa Mikitenko gerät ins Straucheln, Lera Miller zieht davon. Und auch Jule Lindner zieht noch an der Hessin vorbei. Was zunächst nach einer Behinderung der bis dahin Führenden aussah, auch vorläufig eine Disqualifikation von Lera Miller mit sich brachte und , war nach einem genaueren Blick jedoch den schwindenden Kräften von Vanessa Mikitenko geschuldet, bei der schlicht auf der Zielgerade der Tank leer war. So blieb die Reihenfolge bei der Siegerehrung die Reihenfolge des Zieleinlaufs: Gold für Miller (4:34,50 Minuten), Silber für Jule Lindner (4:35,33 Minuten), Bronze für Vanessa Mikitenko (4:35,84 Minuten).

 

Bronze für Obeta, Beratz, Hanselmann und Kolar

 

Absolut im Soll befanden sich auch die weiteren Medaillengewinner aus Bayern. im Hochsprung landete die vorjährige EYOF-Siegerin Ella Obeta (LG Eckental) mit 1,72 Meter auf dem dritten Rang, wobei die junge Eva Kalb (LG Forchheim) nur wegen der größeren Anzahl der Fehlversuche mit dem undankbaren vierten Platz Vorlieb nehmen musste. Als Meldebeste angereist, musste Dreispringerin Carina Beratz (TSV Zirndorf) zunächst etwas schlucken, dass es in der Endabrechnung "nur" der dritte Platz mit 12,33 Meter wurde. Aber da sie dem jüngeren U 20-Jahrgang angehört, kann sie im kommenden Jahr einen erneuten Anlauf nehmen. Wie Jakob Kemminer sogar noch zwei Jahre Zeit hätte Leni Hanselmann (MTV 1881 Ingolstadt), um sich ihre ehrgeizigen Ziele zu verwirklichen. Die vorjährige Deutsche U 18-Meisterin über 2000 Meter Hindernis bewies diesmal, dass sie auch über 800 Meter ein Wörtchen mitreden kann und holte sich in 2:15,17 Minuten verdient Bronze, knapp vor Jule Lindners Zwillingsschwester Emma (LG Bamberg; 2:15,53 Minuten). Dieselbe Medaillenfarbe baumelte um den Hals von Elias Kolar (TSG 08 Roth), der in einem engen Rennen über 3000 Meter den dritten Platz in 8:39,38 Minuten behauptete.

 

Sechs Mal die "Holzmedaille"

 

Sechs vierte Plätze für bayerische Sportlerinnen und Sportler: Auch das ist eine beachtliche Leistung, auch wenn die Protagonisten ein klein wenig der verpassten Medaille hinterhertrauen. Neben Cassian Holland-Moritz (200 Meter), Eva Kalb (Hochsprung) und Emma Lindner (800 Meter) ärgerten sich ganz besonderes Millicent Mensah (LAC Quelle Fürth), der im 60-Meter-Hürden-Finale mit 8,55 Sekunden ganze zwei Hundertstel zum Sprung auf das Treppchen fehlten, Stabhochspringer Mario Mönninger (TSV Gräfelfing), der höhengleich mit dem Bronzemedaillengewinner (4,70 Meter) nur einen Fehlversuch mehr auf dem Konto hatte und Elena Schernhardt (LG Festina Rupertiwinkel; 24,92 Sekunden) über 200 Meter. Knapp hinter ihr kam Annika Just (LAC Passau) mit für sie indiskutablen 25,00 Sekunden. Das lag vor allem daran, dass ihr im A-Finale als Vorlaufsiegerin die im Vergleich zu den Bahnen fünf und sechs absolut unfaire Bahn eins zugelost wurde. Just hatte tags zuvor auch mit einem Fehlstart im 60-Meter-Finale Pech, der ihr alle Medaillenchance raubte.

 

Gute fünfte Ränge gab es für Jonas Storch (LG Passau) über 1500 Meter in 4:01,87 Minuten, Fabian Kutscha (LG Stadtwerke München) im Weitsprung (7,09 Meter), Benedikt Mauerer (SC Germering) im Dreisprung (14,37 Meter) und wie schon erwähnt Annika Just. Siebte wurden neben Niels Leifert (60 Meter) noch Stabhochspringerr Jakob Zimmer (SV Germering; 4,55 Meter) sowie Antonia Kräußlich (TSV BadRodach) über 1500 Meter (4:41,92 Minuten) und auf Platz acht landete Hochspringer Keon SDchmidt_Gothan (LG Stadtwerke München) mit 1,90 Meter.